von Jana, Lesezeit < 5 Min.
Als sie klein war, hielt Tom jedes seiner Versprechen: Dass keine Monster in der Dunkelheit unter ihrem Bett waren. Dass nichts passieren würde, wenn sie sich traute mit dem Fahrrad den Berg hinunterzufahren. Dass er seine Schokolade mit ihr teilte, wenn sie die Schuld für die kaputte Blumenvase auf sich nahm.
(Ihre Mutter hätte Tom sonst Hausarrest gegeben und er hätte nicht mit ins Fußballcamp fahren können. Bei ihr bedeutete Hausarrest, dass sie sich in Ruhe unter ihrer Bettdecke verstecken und ein Buch lesen konnte. Ihre Mutter hatte den Trick erst später verstanden.)
Als sie älter wurde, begann Tom jedes seiner Versprechen zu brechen: Dass er nach der Schule mit ihr spielen würde. Dass sie mit ihm und seinen Freunden mit zum See fahren konnte. Dass er in der nächsten Woche den Müll für sie raustrüge, wenn sie heute seinen Abwasch übernahm.
Als sie erwachsen war, machte Tom Versprechen, die er nicht halten konnte: Dass er ihre Eltern beruhigen würde, als das mit dem Studium nicht klappte. Dass er sie beschützte, falls ihr jemand würde wehtun wollen. Dass er den Kerl umbringen würde, als er die blauen Flecken an ihren Armen bemerkte.
Doch als sie 35 war, brach Tom das wichtigste Versprechen von allen: Dass er immer für sie da sein würde.
Sie wusste, er hatte das nicht gewollt. Es war der Lastwagenfahrer gewesen, der ungebremst bei Rot in die Kreuzung gerast war.
Und sie dachte an all die Versprechen, gehalten oder nicht, und fragte sich, warum es dieses eine war, dessen Bruch sie ihm nicht verzeihen konnte.
—
Schreibe einen Kommentar