Tragikfaktor 1/5
Ihr braucht: gutes Wetter, gutes Schuhwerk und ein klein wenig Stolz
Quentin hasste den Winter. Nicht den Klischee-Leise-Rieselt-Der-Schnee-Winter, sondern den echten, grauen, kalten, nassen, matschigen Winter.
Draußen schneite es wieder einmal glänzende Flocken, wie frisch vom Glitzer-Einhorn rausgefurzt, die immer genau fünf Sekunden liegen bleiben, bevor sie sich in matschig-braunen Einhorn-Dünnschiss verwandeln.
Im Gegensatz zum Klischee-Leise-Rieselt-Der-Schnee-Winter fand Quentin den realen Winter einfach durchgehend scheiße.
Dazu kam, dass jetzt in den Semesterferien seine Freunde alle sonstwo in der Welt unterwegs waren, Quentin sich also furchtbar langweilte und sein Vater ständig nervte.
„QUENTIN! DER MÜLL STEHT IMMER NOCH HIER!“, hört er seinen Vater aus der Küche brüllen.
Genervt pausiert er das zufällige Youtube-Video. Er hatte gehofft, sein Vater würde den Müll irgendwann selbst hinaustragen, so wie sich auch sonst alles meist von selbst erledigt, wenn er es nur lange genug ignorierte.
„LASS MICH IN RUHE, ICH LERNE!“
„MIR REICHT’S! BRING DEN MÜLL RAUS ODER ICH SCHALTE DAS INTERNET AB!“
„DU MACHST DICH LÄCHERLICH, DAD! DU KANNST DAS INTERNET GAR NICHT ABSCHALTEN. WENN, DANN SCHALTEST DU DEN ROUTER AB!“
Sein Vater war so dumm, wie so viele alte Menschen. Typisch – ‚das Internet abschalten‚. Quentin war gespannt, wie der Vater diesmal reagieren würde, aber es blieb stumm. Als Quentin jedoch das Video wieder starten wollte, funktionierte es nicht. Keine WiFi-Verbindung mehr.
Der Vater hatte seine Drohung umgesetzt und würde jetzt beim Router Wache halten, bis er den Müll wirklich rausgebracht hatte.
Quentin stöhnte. Kurz überlegte er, einfach in seinem Bett liegen zu bleiben. Aber alles, was ihm sonst noch einfiel, womit er sich die Zeit vertreiben konnte, brauchte Internet: Spotify, Netflix, Whatsapp…
Genervt schlüpfte er in seine Adiletten und ging in den Flur. Sein Vater saß im kleinen Sessel neben dem Tischchen mit dem Telefon und dem Router und so tat, als ob er ein Buch lesen würde. Als Quentin an ihm vorbeischlurfte, schaute er auf:
„Zieh dir andere Schuhe an, draußen schneit’s!“
„Sag mir was, das ich noch nicht weiß!“
In der Küche hatten sich mehrere Tüten Müll angesammelt. Mit zwei in der linken Hand, einer in der rechten Hand ging er zur Haustür, drückte mit dem Ellbogen die Klinke hinunter. Der Wind drückte gegen die Tür und er musste Kraft aufwenden, sie ganz aufzustemmen. Sofort peitschte ihm der eisige Schneeregen ins Gesicht, so dass er kaum noch etwas sehen konnte. Nur noch die paar Stufen zur Straße hinunter, dann schnell wieder ins Warme. Das nächste Mal durfte sein Vater selbst den Müll rausbringen, kein Netflix der Welt ist es wert, hier rauszukommen.
Als der Wind hinter ihm die Tür ins Schloss drückt, fuhr er erschrocken herum… und verlor den Halt.
Mit einem dumpfen Knall, der im Schneegestöber unterging, schlug er unten auf der Straße auf, direkt vor dem großen Mülleimer.
Der braune Schneematsch nahm ein leuchtendes Rot an.
Zurück zum Adventskalender
Zurück zum 14. Türchen.
Weiter zum 16. Türchen.
Neueste Kommentare