von Carmen, Lesezeit 1-2 Minuten
„Wie Erdbeerschnee“, erklärte ich noch dem Polizisten, „genau so sieht es aus!“ Appetitlich rot hat es tatsächlich ausgesehen, richtig zum reinbeißen. Manche Stellen waren heller, doch je näher man zur Leiche hinschaute, desto dunkler wurde die Farbe. Den Polizisten hat meine Beschreibung freilich nicht interessiert, er hatte sich längst selbst ein Bild gemacht.
Den toten Körper des älteren Nachbarn mit seiner für alle Ewigkeit verzerrten Fratze hatte ich mich nicht mehr getraut, anzuschauen. Ein kurzer Blick hatte genügt und es lief mir eiskalt den Rücken hinunter. Ich sehe das Bild immer noch, wenn ich die Augen schließe.
Ich versuchte, mich auf den Schnee zu konzentrieren. Am Morgen hatte er noch so wundervoll silbern geglitzert. Friedlich, unberührt, edel. Man hatte den Drang, sich hineinzuwerfen und darin einzutauchen. Ich musste an Schneeengel denken. Tja.
Als ich später Herrn Hofmann gefunden hatte, lag er nicht so, wie Schneeengel gewöhnlich liegen. Der Schnee hatte dafür aber auch die falsche Farbe. Er war nicht göttlich silbern, sondern fruchtig rot. So wie die süßen Erdbeeren, die mir Herr Hofmann immer aus seinem Garten mitgebracht hatte. Das wird er jetzt wohl nicht mehr tun, fiel mir ein. Erdbeerschnee. Herr Hofmann lag in Erdbeerschnee. Wie passend, dachte ich, aber das sagte ich lieber nicht dem Polizisten. Der hätte das wohl nicht verstanden.
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