von Jana, Lesezeit ca. 5 Min.
Sie betrachtete ihn durch die Terrassentür. Er hatte sich an das Spalier gelehnt, das obligatorische Glas Rotwein in der Hand. Der Mond stand in seinem Rücken und beleuchtete den Kranz lichten Haares. Er starrte vor sich hin, alles und nichts sehend, tiefe Falten um seinen Mund zeichneten sich im farblosen Mondlicht ab. Zum ersten Mal fand sie, dass er alt wirkte. Alt und müde. Sie wusste nicht, ob das die Sache leichter oder schwerer machen würde.
Sie schlüpfte aus ihrem Kleid, ließ es achtlos zu Boden fallen, dann ihren Slip und den BH. Sie überlegte ihr Haar zu öffnen, sie wusste, er mochte das. Doch noch ging es nicht darum. Sie ließ es zusammen gebunden und trat nach draußen.
Das Geräusch der Tür ließ ihn aufblicken, sein Mund verzog sich zu einem Lächeln.
„Guten Abend“, sagte sie.
„Du bist schön“, sagte er und streckte die freie Hand aus. Sie nahm sie und führte ihn vom Spalier weg zu einer Bank aus schwarzem Marmor am Rand der Terrasse. Der Stein war noch aufgeheizt von der Hitze des Tages. Sie befürchtete nicht, gesehen zu werden, nicht mal im Licht des Vollmondes. Das Haus lag soweit abseits der Stadt, dass die nächsten Nachbarn zu Fuß eine halbe Stunde entfernt wohnten. Deswegen trafen sie sich hier, immer hier, wo sie ungestört waren. Nur sie beide und die Liebe zwischen ihnen.
Sie konnte sich ihn beim besten Willen nicht in ihrer Studenten-WG vorstellen. Ein Saftglas mit Sangria in der Hand am Küchentresen lehnend, der voll mit Stapeln schmutzigen Geschirrs war, während Leo auf dem Boden hockend Gitarre spielte und traurige Lieder sang. Sie musste lachen.
„Was ist?“, fragte er, doch sie verriet es nicht. Er mochte es nicht, wenn er das Gefühl hatte, nicht mehr jung zu sein. Sie nahm das Weinglas, doch dann dachte sie wieder daran, warum sie hier war. Sie roch den fruchtigen Duft und stellte es auf dem Boden ab. Er zog ihre Hände in seinen Schoß, lehnte sich vor.
„Ich bin schwanger“, sagte sie, bevor er sie küssen konnte.
Er erstarrte, lehnte sich zurück, starrte weiter. Es war sicher selten vorgekommen, dass der Professor eine Situation so ratlos betrachtet hatte.
„Ich…“, begann er.
„Nicht du. Ich bin schwanger. Von dir, falls das in Frage stehen sollte.“
„Tut es nicht.“
Tat es doch. Es schmerzte sie, doch sie kannte ihn. Vielleicht verbot ihm sein Stolz gerade, darüber nachzudenken, wie viele Verehrer sie tatsächlich hatte, doch das würde er. In Kürze. Es war ein fruchtloses Unterfangen, sie hatte ihn nicht betrogen, warum sollte sie?
„Dann ist ja alles gut“, sagte sie.
Er nickte. „Du bekommst es nicht.“
Was? Nein, nein, das kam nicht in Frage, das konnte er nicht verlangen. Sie wollte das Kind. Sie musste.
„Wenn es das Geld ist, kein Problem. Ich zahle es dir. Doch du kannst es nicht bekommen, das ist ja wohl klar.“
Klar? Was war daran klar? Sie liebte ihn und er sie. Die Studentin und der Professor. Ein bisschen wie aus einem Kitschroman. Herzschmerz vorprogrammiert, aber eben auch das Happy End. Das musste er doch sehen! Er musste!
„Denk doch nur an dich, deine Karriere. Du kannst es zu etwas bringen. Aber doch nicht, wenn du…“
„Du willst es nicht?“, fragte sie.
„Nein, nein! Warum auch? Ich habe drei Kinder. Gott sei Dank sind die erwachsen! Wieso sollte ich mir das noch einmal antun?“
Wieso sollte er? Eine gute Frage.
„Du willst es nicht“, murmelte sie. Er hatte weitergesprochen, doch sie hörte ihm nicht mehr zu. Er wollte nicht. Nicht das Kind, nicht sie. Sie sprang auf, sie konnte nicht sitzen bleiben, nicht hier bleiben. Er folgte ihr, griff nach ihr, wollte sie festhalten, doch auch das war eine Lüge. Er wollte sie nicht. Sie stieß ihn mit aller Kraft von sich und er schlug mit dem Kopf an die steinerne Bank, bevor er mit einem seltsamen dumpfen Laut auf dem Boden aufkam und still liegen blieb.
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