Geschichten. Überall und Jederzeit

Schlagwort: Veränderung

Draußen ist November – ein Schreibexperiment (Stand 30.11.)

Hallo zusammen,

„Draußen ist November“ ist der Titel des Schreibexperiments, mit dem wir uns aus unserer Pause zurückmelden.

Vom 1. November bis zum 30. November wollen wir möglichst jeden Tag immer den gleichen Blick aus unseren jeweiligen Fenstern beschreiben – jede von uns hat natürlich ihren eigenen Fensterblick.
Klingt langweilig? Klingt spannend? Warum tut man so etwas?
Der Herbst gilt allgemein als ein Symbol der Veränderung, gleichzeitig gibt es in unserer beider Leben gerade viel Veränderung. Dieser eine Blick, jeden Tag 5 Minuten beschrieben, soll unsere Konstante sein… oder doch nicht?
„Draußen ist November“ wird unser Experiment. Was passiert mit unserer Umwelt? Werden wir es bemerken? Was passiert mit uns? Wo stehen wir am Anfang und am Ende des Experiments?

November ist allgemein ein spannender Monat für Autor*innen, da der Monat jedes Jahr unter dem Zeichen des NaNoWriMo steht – dem „National Novel Writing Month“. Autor*innen, die mitmachen möchten, setzen sich das Ziel, 50.000 Wörter im Monat zu schreiben. Carmen wird dieses Jahr mit einem Ziel von 20.000 Wörtern mitmachen. Sie wird bei jedem Post ihren Wordcount mit dazuschreiben, hoffentlich ein Teil ihrer Veränderung.


Carmens Fensterblick 1.11.

Carmen
NaNoWriMo: 108/20.000 Wörtern im Romanprojekt geschrieben

Der Himmel ist komplett wolkenbedeckt, und trotzdem kann ich in der Ferne die Berge sehen. In Echt wirken sie viel näher, als auf meinem Bild, wo sie hinten nur klein und unscheinbar, fast nicht erkennbar sind. Seit ich hier wohne, hebt es immer meine Laune, wenn ich sie sehe. Nicht immer ist die Sicht so gut wie heute, wo es wirkt, als wären sie nur eine Armlänge von mir entfernt – eine Illusion, die das Foto nicht vermitteln kann.
Direkt vor mir die Straße, auch am Sonntag ziemlich laut, aber was kann sie ausrichten, wenn hinten die Ruhe der Berge alles überstrahlt. Auch der Wind scheint sich dieser Ruhe zu fügen – die Fähnchen auf dem gegenüberliegenden hässlichen Bürogebäude bewegen sich kein Stück und hängen still – Sonntag ist nunmal Ruhetag.
Überhaupt: dieses weiße, hässliche Bürogebäude finde ich seit jeher spannend: Dort drin verändern sich laufend Dinge, ohne dass dort jemals Menschen sind. Es gehen unerklärliche Dinge vor sich. Ich erkenne auf mehreren Stockwerken große Zimmerpflanzen und manchmal brennt nachts das Licht. Aber ganz ehrlich: Seitdem ich hier lebe, seit mehreren Jahren, habe ich noch nie, wirklich noch nie eine Person in diesem Haus gesehen. Dort drin spukt’s!
Im Bürogebäude, das ich von einem anderen Fenster aus sehe, sitzen immer Menschen, manchmal schon morgens um 5. Zu meiner Studentinnenzeit haben wir uns manchmal zugewunken. Die „In-letzter-Sekunde-für-die-Klausur-Lernende“ auf der einen Seite und die armen Teufel drüben, was die dort auch immer taten. Aber im hässlichen Bürogebäude? Da haben die Zimmerpflanzen die Macht übernommen, da bin ich mir sehr sicher. Sie agieren wie die Weeping Angels aus Doctor Who: Sie bewegen sich nur, wenn man nicht hinsieht und sobald sie dich berühren, saugen sie dir die Energie ab. Absolut plausible Erklärung am Morgen nach Halloween.


Janas Fensterblick

 

Jana

Wir machen eine Schreibübung im November, hat sie gesagt. Für den Blog, hat sie gesagt. Das wird toll, hat sie gesagt. Wir schauen jeden Tag 5 Minuten aus dem Fenster und beschreiben, was wir sehen. Na gut.
Ich sehe ein Taubenpaar auf dem Dach des benachbarten Häuserblocks. Sie scheinen sich zu mögen. Immer wenn eine weghüpft, hüpft die zweite hinterher. Und als eine dritte dazu kommt, verjagen die zwei ersten sie. Sie wollen unter sich bleiben. Die Verliebten schauen in die gleiche Richtung wie ich. Ganz einträchtig schauen sie auf die Türme von St. Benno vor der grauen Wolkendecke, die über uns hinwegzieht. Auf die Bäume davor. Einige von ihnen klammern sich noch an ihr buntes Blätterkleid. Andere strecken schon ihre kahlen Äste in den grauen Himmel. Sie ähneln den kahlen Ästen der Kräne im Hintergrund. Im Hinterhof quietscht ein Junge und wirft sich in einen Blätterberg. Eine Frau mit Hund läuft vorbei, ein Fahrradfahrer überholt sie. Heute ist Allerheiligen, die Kirchenglocken schlagen schon zum dritten Mal oder ist es einfach eine andere Kirche?

Carmen

NaNoWriMo: 948/20.000 Wörtern im Romanprojekt

Die Wolken hängen tief und hinten scheint es, als ob die ersten Schauer des neuen Tages hinunterfielen. Auch heute sieht man die Berge, auch wenn sie im Laufe des Tages vermutlich wieder verschwinden werden. Heute ist mehr los auf der Straße als gestern. Von Ruhetag keine Spur mehr. Aber mich interessieren heute die Autos und Menschen direkt vor meiner Nase nicht.

Von meinem Fenster aus sieht man eine Handvoll hoher Gebäude und ich weiß bei keinem, was es eigentlich ist. Vor allem das orangene Gebäude hinten links hat ein spannendes Äußeres. Ist es so zerklüftet aufgrund von Balkons, ist es also ein Wohnhaus? Vielleicht doch eher eine Fabrik? Oder eine Mischung aus Fabrik und Bürogebäude? Unten musste man ein Stück auslassen, weil da Rohre und andere Steam-Punk Geschichten durchgehen, wie das bei Fabriken nunmal so ist. Und dann dachte sich die Architektin, hmm, warum nicht einfach obendrauf rechteckige Büros setzen?


Blick_Fenster_Nov2

Jana

Tag 2. Die Tauben sind weg. Als ich mich an die Tasten gesetzt habe, saßen die Verliebten noch auf dem Metallgitter, das das Dach umrandet. Einen halben Meter Abstand zwischen sich. Vielleicht ein Zeichen, auch wenn ich etwas anderes hoffe. Der blaue Kran im Hintergrund hat seit dem Foto die Position gewechselt und steht nun wieder da wie gestern. Räumlich hinter dem gelben Kran und etwas unterhalb ist noch ein rot-schwarzer Kran. Ganz schön viele Baustellen. Erklärt, dass statt dem Glockgeläut von gestern das Wummern von Baumaschinen durchs geschlossene Fenster dringt. Die Sonne kämpft sich gerade durch den grauen Wolkenteppich und blendet mich. Ein leichter Wind lässt Blätter tanzen. Die Kirchtürme von St. Benno wachen wie jeden Tag über dem Viertel.
Ich habe diesen Blick aus meinem Küchenfenster schon immer als wunderschön empfunden, seit ich hier wohne. Eine kleine grüne Oase inmitten der Stadt. Ich vermisse das Taubenpaar, aber morgen ist es ja vielleicht wieder da.


Carmen
NaNoWriMo: 1519/20.000 Wörtern im Romanprojekt

November, der graue, nasse Monat. Es regnet, das macht die Straße lauter. Die Berge verstecken sich hinter dem Regen. Wir sind erneut im Lockdown und ich habe mich gefragt, ob ich es merken würde. Fahren weniger Autos? Wie viele Menschen stehen an der Haltestelle?
Ich habe 3 vorbeilaufende Personen gezählt, alle unter einem Regenschirm versteckt. Die Berge, die Menschen, alle verstecken sie sich. Nur einer, einer hatte heute morgen vergessen, sich zu verstecken. Als ich das Fenster öffnete, überraschte ich ihn, den kleinen Marienkäfer. Keiner dieser Klischee-Rot mit schwarzen Punkten-Marienkäfer, sondern so ein orangener mit einem wolkenartig gemusterten Schwarz. Ich hatte was über eine Marienkäferplage gelesen, aber hier oben in der Wohnung an der Hauptstraße gibt es nur Frucht- und Trauerfliegenplagen. Keine Wespen, keine Käfer, keine Spinnen. Hier oben lebt nur der Mensch.
Der Marienkäfer fiel auf den Rücken, als ich das Fenster öffnete, strampelte erst mit den kleinen Beinchen und stellte sich dann tot. Ich drehte ihn um und setzte ihn wieder nach draußen, denn kalt ist der November nicht. Lang lebe der Klimawandel. Draußen ist es lebensfreundlicher als hier drin.


Jana

Der Himmel ein bleiernes Grau. Über allem hängt ein grauer Schleier, Farben matt und müde. Selbst die Kirchtürme haben Mühe, durch den Schleier sichtbar zu sein. Ein leichter Regen fällt. Alles ist still. Kein Baulärm, keine Leute unterwegs, keine Tauben. Die einzelne Krähe, die gerade noch auf dem Dach des Nachbarhauses saß, hat sich verdrückt. Irgendwohin, wo es wärmer und trocken ist, hoffe ich. Im Radio haben sie gesagt, dass heute der perfekte Tag für den Lockdown ist. Also zu Hause bleiben, die Kuscheldecke nehmen, Tee kochen, Filme schauen. Das Grau macht mich müde und ich muss mich konzentrieren, die nass-glänzenden farbigen Blätter wahrzunehmen und anzuerkennen, dass immer noch etwas strahlt da draußen. Ein paar bunte Schirme ziehen vorbei, ein Mann in einer knallroten Regenjacke. Regen. Nein, heute kein Fröhlich-munter-trallala. Wo ist meine Kuscheldecke?

 

Carmen
NaNoWriMo: 1750/20000 Wörtern im Romanprojekt

Puh, ist das heute früh. Nach draußen soll ich schauen? Lieber lege ich meinen Kopf auf die kalte Fensterbank und schlafe weiter. Ich sehe nicht viel, die Fensterscheibe spiegelt. Die Nacht war kurz, hinter mir läuft CNN, vor mir läuft CNN, nur spiegelverkehrt. Nachher, um 6 Uhr soll ich mich mit anderen Schreibwütigen per Videochat treffen, um eine Stunde zusammen den NaNoWriMo anzugehen. Ich erinnere mich nicht mehr, warum ich zugesagt hatte, so früh… Schlafen. Warum mach ich auch die Nacht durch, so jung bin ich nicht mehr. Und wir wissen alle, wie es beim letzten Mal ausgegangen ist. Ich bedauere heute noch, den Sieg der Föhnfrisur vor 4 Jahren nicht einfach verschlafen zu haben. Konzentriere dich! Ich soll etwas beobachten. Für den Blog. Ich schaue. Ich schaue fester. Ich vermisse meine Kaffeetasse, wo ist meine Kaffeetasse? Ah. leer. Vielleicht sollte ich mir noch einen grünen Tee aufbrühen. Oder mit Streichhölzern die Augenlider vorm Zufallen blockieren. Schau! Zum! Fenster! Raus! Na gut. Also: Draußen ist es dunkel. Gute Nacht!


Jana

Heute lugt ein Streifen Blau am Ende der grauen Wolkendecke. Es sind viele Vögel unterwegs. Kleine Kohlmeisen (ohne Gewähr) hocken in den obersten dürren Zweigen des Baums am nächsten zu meinem Fenster. Jetzt wurden sie aufgeschreckt und fliegen davon. Auch große schwarze Krähen fliegen zwischen den Häusern hin und her. Der Himmel ist heute wieder eine graue Wolkendecke, aber für mich wirkt sie gerade weiß und kuschelig und alles andere als grauer November. Vielleicht liegt das am Blau im Hintergrund. Mein Taubenpaar ist nicht zu sehen. Die Kräne sind immer noch da, beständige Zeugen meines Rituals, und heute sind auch die Kirchtürme wieder klar zu sehen. Ich habe das Gefühl, die Bäume haben in den letzten Tagen einige ihrer verbliebenen Blätter verloren. Veränderung ist immer auch ein Abschied. Vom Sommer. Vom Jahr. Zeit zum Nachdenken.

Carmen

NanoWriMo: 2537/20.000 Wörtern im Romanprojekt

Grau und trocken. Als ich das Fenster öffnete, fühlte es sich kalt an, sehr kalt. Trotzdem sehe ich relativ viele Menschen, Fußgänger, Fahrradfahrende, nur vereinzelt Wartende an der Haltestelle. Gestern titelte ein Online-Magazin: „Die Angst vor Corona hat sich abgenutzt“. Ist es das, was ich beobachte? So viele Menschen unterwegs, weil sich die Angst abgenutzt hat. Oder ist es das Gegenteil – Menschen, die trotz Kälte zu Fuß oder per Fahrrad unterwegs sind, weil sie unterwegs sein müssen und versuchen, die Öffentlichen zu vermeiden? Immerhin, es ist kurz vor 9, vielleicht ist es auch einfach ein normaler Tag kurz vor Büroöffnung. Sollten die nicht Home Office machen?
Irgendwann, fast unbemerkt durch alles andere, hat dieses Jahr ein weiteres Bürogebäude gegenüber eröffnet. Hübscher als der hässliche, weiße Klotz mit den unheimlichen Zimmerpflanzen, aber das war ja keine Kunst. Allerdings – welche „normalen“ Gebäude sind schon wirklich hübsch? Bürogebäude, wenn sie nicht gerade von den fancy reichen Firmen geplant werden, werden von Investoren hochgezogen, um sie dann an jede hundsgewöhnliche Firma zu vermieten. Rutschbahnen, Ruheräume für den Power Nap und Urban Gardening auf dem Dach will sich nicht jede Firma leisten. „Macht mal was mit rechteckig und Glas“, wurde beim neuen Nachbarn wohl in der Planung gesagt. Falls sie sich an dem Tag ein klein wenig fancy gefühlt haben, kam vielleicht „und was mit feng shui“ dazu. Feng shui in Europa ist einfach: Irgendeiner der Knöpfe im Aufzug steht etwas weiter raus und ist rot, die WCs kontraintuitiv eingeplant und es gibt viele, möglichst große Zimmerpflanzen und großen Blumenkübel…

… Mist!
…hoffentlich nicht noch ein gruseliges Bürogebäude unter der blutdürstigen Herrschaft von Zimmerpflanzen in meiner Nähe. Nur die Ruhe, noch laufen Menschen auf der Straße. Noch gibt es kein Indiz dafür, dass der neue Nachbar Feng Shui macht.


Nov5

Jana

Heute blicke ich mal nicht aus dem Fenster, sondern sitze davor, auf dem Balkon, eingekuschelt in die schon häufig genannte Kuscheldecke. Die Sonne brennt auf meinem Gesicht, und ich bitte alle Tippfehler zu entschuldigen, ich sehe meinen Bildschirm eigentlich gar nicht. Aber es ist so schön, die Luft ist angenehm kühl und frisch, die Vögel zwitschern, die Sonne wärmt. Ab und zu fährt ein Auto auf der Straße unten vorbei, irgendwo in der Nähe piept ein Lastwagen beim rückwärts fahren, aber sonst ist es angenehm ruhig. Um mich herum sind Töpfe aufgereiht, die letzten Balkonpflanzen, die der nächtlichen Kälte noch nicht nachgegeben haben. Es blinkt weiß und rot und rosa. Ein paar Spinnweben zieren die Brüstung, ihre Bewohnerin ist aber nicht zu sehen. Unten zur Straße hin entdecke ich ein Tor ohne Zaun. Nur die verschlossene Tür in ihrem Rahmen, links und rechts frei. Ich kann mich nicht erinnern, diese Tür schon einmal gesehen zu haben, aber sie sieht nicht neu aus. Vielleicht ist mir nicht aufgefallen, einen Sinn hat sie ja offensichtlich nicht und das Gehirn muss ja sortieren, worauf es achtet und worauf nicht. Eine Tür, die kein Hindernis darstellt, die nicht entscheidet über Zugang oder eben kein Zugang, fällt schnell durch die Sortierkriterien. Ihrer eigentlichen Funktion beraubt, ist sie aber ein guter Anfang für eine Geschichte. Was hat sie mal verschlossen? Warum hat man sie stehen lassen, als man links und rechts den Zaun entfernt hat? Ist es nur eine dieser berühmten Zwischenlösungen gewesen, die ewig halten? Und was ist mit der eigentlichen Lösung passiert? Und sehe vielleicht nur ich diese Tür, denn welcher vernünftige Eigentümer lässt so etwas stehen? Wo führt diese magische Tür hin? Und warum hat mein Timer sich nicht nach fünf Minuten gemeldet? Fragen über Fragen…

P.S.: Da der Balkon nicht mein eigener ist, heute ein Bild von gestern, weil es so schön ist und zum heutigen Tag passt.

Jana

Heute habe ich den Tag nicht mit meinem Fensterblick begonnen – und tatsächlich habe ich ihn vermisst. Irgendwie war der Tag dann viel zu schnell da und ich viel zu schnell im Tun und Machen und überhaupt, welches Wetter ist eigentlich? Wie sieht es draußen aus? Ist überhaupt ein Tag?
Es war dann ein Tag und er war irgendwie… na ja… und Kopfschmerzen kamen dann auch noch, aber die sind jetzt immerhin weg und ich dachte mir, dann schließe ich den Tag eben mit dem Fensterblick. Und siehe da: Es ist dunkel. Einige Fenster in den umliegenden Häusern sind erleuchtet. Ein Fernseher läuft, eine Nachbarin steht in der Küche, bei den restlichen Fenstern müsste ich raten, was dahinter passiert. Familien beim Abendbrot, Bücher werden gelesen, ein älteres Ehepaar tanzt zu Sinatra, eine Modelleisenbahn dreht ihre Runden, Rechnungen werden bezahlt, über andere Rechnungen wird geweint. In der Fensterscheibe spiegeln sich mein Laptop und meine angestrengte Stirn, ich sollte mich entspannen sagen die Kopfschmerzen, die noch im Hintergrund drohen. Ein wunderschöner Blumenstrauß steht auf dem Fensterbrett. Ich lächele.

Carmen

7. November
NanoWriMo: 3802/20.000 Wörtern im Romanprojekt

Es ist Samstag und langsam fällt mir die Decke auf den Kopf. Ich bin seit zwei Wochen in Quarantäne, schaue jeden Tag nach draußen will doch selbst da draußen sein. Heute scheint es draußen sehr angenehm zu sein, die Leite tragen noch nicht einmal dicke Mäntel. Sie gehen entspannt, nicht so als würden sie dem Draußensein entfliehen wollen. Ein bisschen beneide ich sie. Ein paar Stunden noch muss ich ausharren. Wenn ich Pech habe, noch bis Montag, vorausgesetzt, ich bin nicht positiv.
Wobei der Unterschied zwischen Quarantäne und Kontakte-während-des-Lockdowns-verringern jetzt nicht so groß ist. Der Unterschied wird sein, dass ich meine Einkäufe selbst erledigen und meinen Müll selbst hinunter tragen kann. Die frische Luft bekomme ich nicht mehr nur durch das Lüften, sondern durch etwas Bewegung im Freien.

Eine Weile noch beobachte ich die Menschen unter mir, die entspannt durch den November flanieren, als ich ES entdecke. Ich erstarre, schaue genauer hin.
Und erkenne.
Es ist soweit! Es passiert!
Ich sehe es, klar vor meinen Augen: Eine der Zimmerpflanzen aus dem hässlichen Büroklotz gegenüber lässt sich von einer menschlichen Sklavin zu neuen Jagdgründen tragen. Dabei habe ich auch diesmal nicht gesehen, dass ein Mensch da drin war. Nur dass er herauskam. Absolut kurios. Ich habe es die letzten Tage nicht wahrhaben wollen. Unter meiner Nase. Passiert es jetzt gerade.
Bleibt drinnen, schützt euch! Die Pflanzen kommen und niemand weiß, welche Menschen bereits unter ihrem Einfluss stehen!


Jana

Ich blicke auf den Sonnenuntergang. Tiefes Orange, warmes Gelb, Blassgelb bis ins Weiß, dann grünlich, hellblau und schließlich alle Blautöne bis fast Schwarz. Vom Horizont bis in den Himmel, unendlich hoch und weit über uns. „You can´t take the sky from me“* ist eine meiner Lieblingszeilen, ich habe sogar mal überlegt, sie mir auf die Schulter tätowieren zu lassen. Sie ist mein Motto, mein Strohhalm, alles kann ganz furchtbar sein, aber da ist etwas hinter dem Horizont, über den Wolken, ein Ort irgendwo in dem großen weiten Universum, wo es besser ist als hier und dort kann ich im Notfall hin. Wie auch immer ich das anstelle, hat nicht wirklich etwas mit Logik zu tun, glaube ich. Eher geht es darum, mir einzugestehen, dass es Dinge gibt, die ich nie wissen werde. Dinge, die ich nie verstehen werde. Dinge, die ich nicht kontrollieren kann. Es wird immer etwas geben, was noch da ist, noch unentdeckt. Oder schlicht: Es geht weiter, egal was kommt, es geht weiter, es kommt ein neuer Tag, neue Möglichkeiten. Am Ende ist alles gut und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende. Noch so ein Lieblingssatz von mir. Am Ende dieses Textes jedenfalls, ist es dunkel, aber das muss ja nichts Schlechtes sein.

*aus dem Titellied zu Serie „Firefly“

Carmen
NaNoWriMo: 3900/20.000 Wörtern im Romanprojekt

Gestern war Ruhetag. Mein Ich-bin-zwar-in-Quarantäne-und-hätte-wirklich-Zeit-aber-heute-schaue-ich-Serien-und-die-Welt-soll-mich-bloß-in-Ruhe-lassen-Tag. Man erkennt es am Word-Count.
Der heutige Morgen symbolisiert meinen gestrigen Kopf recht gut – „dull“, geschlossen, undursichtig. Man sieht nicht weiter als ein paar Meter. Die Sonne ist irgendwo, es ist hell, aber wo genau erkennt man nicht. Die Gefahr ist groß, sich zu verirren und ich hatte mich verirrt. Ich schrieb an zwei Szenen gleichzeitig und blieb in beiden Szenen gleichzeitig stecken.
Nicht schlimm, kann passieren, nicht entmutigen lassen. Weitersuchen, weitschreiben. 
Darauf warten, bis sich der Nebel gelichtet hat, dann wird es ein wundervoller, klarer Tag.

Überhaupt finde ich, dass Nebel ein unterbewertetes Wetterphänomen ist. Mir fallen nur klischeebeladene Nennungen ein: Nebel im Krimi – und der Mörder verschwand. Romantischer Nebel im Morgengrauen – Elizabeth streift durch die morgendlichen Wiesen und trifft ihren Mr Darcy. Londoner Nebel, undurchdringbar.
Warum nicht mal einfach einen sinnlosen Nebel einbauen? Nebel, weil nun einmal Nebel ist. Er stört niemanden. Er hilft niemandem. Er ist nicht romantisch, er ist nicht gruselig, er ist.
Weil er nunmal manchmal ist.
Vielleicht bastele ich aus Trotz dem Klischee gegenüber eine Nebelszene ein, grundloser Nebel. Vielleicht mein Durchbruch aus dem Nebel. Eine neue Szene beginnen. Die anderen beiden stehen lassen. Nicht dran weiterarbeiten. Es wird sich ergeben. So wie sich der Nebel irgendwann der Sonne ergeben wird.


Novemb8

Jana

Die Sonne strahlt in den Innenhof (der Nebel hat sich ergeben 😉 ). Ein Mischmasch aus leuchtendem Grün, Gelb, Orange und Rot. Kondensstreifen über blassblauem Himmel (Chemtrails? Muss ich mir Sorgen machen?). St. Benno wacht wie immer über das Viertel, die Kräne sind auch noch da, stumm und bewegungslos ragen sie fast so hoch wie die Kirchtürme. Es ist auffallend ruhig. Keine Vögel in den Zweigen oder auf dem benachbarten Dach. Keine Spaziergänger unterwegs. Halt, doch! Gerade kreuzt ein Rollerfahrer den Innenhof. Eigentlich lädt die Sonne zum Spaziergang ein, aber ich habe heute einfach keine Lust, ich bin so müde. Die Milch für den Kaffee ist alle und ohne mag ich keinen, ich versuche es gerade mit Mate-Tee. Wo war ich? Herrliche Herbstfarben vor meiner Nase. Wenn ich das Fenster öffne, bekomme ich auch frische Luft und einen Sonnenstrahl auf die Nase. Heute mal alles in Lightversion. Einen schönen Sonntag, wünsche ich.

Nov9

Jana

„Wie Sie sehen, sehen Sie nichts.“ Wo kommt dieser Satz eigentlich her? Nennt man so etwas ein „geflügeltes Wort“? Wo fliegt es hin? Von Mund zu Mund und schon kennt es jeder. Irgendwie so vermutlich. Nebel. Carmen hat gestern so schöne Dinge zum Nebel geschrieben. Dass er immer missbraucht wird in Geschichten, um etwas gruselig und/oder undurchsichtig zu machen. Undurchsichtig ist mein Blick heute allemal. Ich glaube, Nebel kann gar nicht neutral wirken, ich tue mich jedenfalls schwer damit, dass mein Sehsinn so eingeschränkt ist. Ich will doch wissen, was los ist! Kontrollsüchtig. Ja, ich, schuldig. Nicht wissen, was genau los ist, nicht wissen, wie ich mich verhalten soll, nicht wissen, was von mir erwartet wird. Das sind Felder, in denen ich mich höchst unwohl fühle. Zumal ich immer das Gefühl habe, dass alle um mich herum das Handbuch nicht nur gelesen, sondern auswendig gelernt haben. Aber vermutlich stimmt das gar nicht. Nebel hat die Eigenschaft, alle gleich zu behandeln, also tappen die Leute um mich herum ja durch die gleiche Suppe. Ich sehe einen Lichtstreif am Horizont. Bald habe ich wieder den Durchblick!


Carmen
NaNoWriMo: 5584/20.000 Wörtern im Romanprojekt

Eben war es noch so neblig wie gestern, wenn nicht sogar nebliger. Ihr seht es auf Janas Foto: so nah, so real. Ich öffnete das Fenster, um den Mief der Nacht hinaus- und den neuen Tag hereinzulassen und da dachte ich, ich könne danach greifen. Ich dachte, jetzt kommt zu mir und leistet mir Gesellschaft.

Kennt ihr die Trilogie der Nebelgeborenen von Brandon Sanderson? Warum ist mir sein Nebel gestern nicht eingefallen? Da ist der Nebel körperlich, lebend, bedrohlich und hilfreich und gut und schlecht zugleich. Sanderson sagt, die Idee hätte er gehabt, als er mit dem Auto in eine Nebelwand fahren musste und ihn gespührt hatte, den Nebel.

Doch wenn ich jetzt hinausschaue, dann ist da keine Spur mehr übrig. Klare Sicht bis zu meinen Bergen, meine Berge, die dort stehen, um mir einen schönen Tag zu wünschen. Das wünsche ich ihnen auch. Euch allen.
Euch allen einen guten Start in die Woche.

Carmen
NaNoWriMo: 5840/20.000 Wörtern im Romanprojekt

Heute habe ich mich auf die Struktur meines Romanprojektes konzentriert,  was mich wird noch ein paar Tage begleiten wird.

Der tägliche Fensterblick ist in den Nachmittag gerutscht, die Sonne geht bereits unter. Zwischenzeitlich habe ich das Gefühl, dass es bald wieder länger hell sein wird. Dass die dunkle Zeit größtenteils überstanden ist. Eine irritierende Illusion.
Es ist November, der Lichtstreif, den ich heute am Horizont sehe, wird morgen um diese Zeit verschwunden sein.
Das kommt davon, wenn man ein Jahr drinnen verbringt. Dann denkt man irgendwann, das Jahr muss doch jetzt bald vorbei sein. Der Winter muss doch jetzt bald vorbei sein. Dabei hat der Winter noch gar nicht angefangen. Vielleicht wird der Winter dieses Jahr aber sowieso wieder ausfallen, so wie im vergangenen Jahr. Er wird versuchen, wegzubleiben, so wie das schwarze Schaf der Familie versucht, jede mögliche Ausrede aus dem Hut zu zaubern, um sich an Weihnachten  nicht den vorwurfsvollen Blicken der Verwandtschaft aussetzen zu müssen.

Wenn der Winter ausbleibt, wäre das nicht schön??? Für die Natür vermutlich katastrophal, aber für uns? Mehr Möglichkeiten, draußen etwas zusammen zu unternehmen. Wir, die sich nicht treffen sollen, die Abstand halten sollen, die neuerdings empfindlich auf die Aussicht reagieren, Freunde in geschlossenen Räumen zu treffen. Was für eine Resonanz diese Wörter auf einmal haben. Freunde. In. Geschlossenen. Räumen.

„Freunde in geschlossenen Räumen“
Wie diese Geschichte wohl ausgeht?

Ich wollte mich auf den Lichtstreif am Horizont konzentrieren und bin dazu übergegangen, Freunde mit dem Teufel im Bunde zu sehen.
Ein paar Zeilen schreiben. Dazwischen kann alles passieren.

Jana

Mein PC ist heute unglaublich langsam. Computer werden immer langsamer, je öfter man sie benutzt. Als müsste sich das arme Gerät alles merken, was man tut und wahrscheinlich tut es das auch. Ich könnte es ja eines Tages fragen, was ich am 14.9.2017 so getan habe, und dann gäbe es bestimmt irgendwo eine Datei, die das ganz genau aufschlüsselt. Es muss so sein, sonst finde ich keinen Grund, warum ich gefühlte zehn Minuten davor sitze, bis sich Papyrus endlich öffnet und mir meine Fensterblicke der letzten Tage zeigt. Gefühlte Zeit, in echt war es vielleicht die Hälfte, wenn überhaupt, und sollte ich nicht eigentlich froh über fünf Minuten geschenkte Zeit sein? Da konnte ich schon mal in Ruhe aus dem Fenster schauen: Graue Wolkendecke, bunte Blätterfarben, die Kräne stehen genau so da, wie die letzten Tage – passiert auf diesen Baustellen jemals etwas? Moment, der blaue Kran hat sich ein Stück bewegt, aber die anderen zwei? Vielleicht ein Baustopp? Oder ist es zu kalt, zu neblig, zu was-auch-immer? Sind die schon mal aufgestellt für eine Aufgabe, die noch kommt? Vorbereitung ist alles!
Heute ist mir zum ersten Mal ein großer grün-orange-roter Blumenstock auf dem Balkon meiner Nachbarn aufgefallen. Verrückt, dass ich diesen bunten Farbfleck nicht schon eher bemerkt habe. Und neu wird er wohl nicht sein, oder gibt es Balkonpflanzen, die erst im November gepflanzt werden? So ist das, mit dem nach draußen schauen, es gibt so viele Details, die man nicht sieht oder wenigstens nicht bewusst wahrnimmt. Wie viel habe ich schon verpasst? Wir sollten uns mehr Zeit nehmen, aus dem Fenster zu schauen. Wir entdecken bestimmt großartige Dinge und für die Seele ist es allemal gut. Das habe ich zumindest gelesen. Als ich mal wieder auf etwas warten musste und man kann ja so eine Wartezeit nicht nutzlos verstreichen lassen und einfach nur irgendwohin schauen, wo dann vielleicht gar nichts ist, oder?

Carmen

NaNoWriMo: siehe Zahl vom 10. November. Viel Arbeit an der Struktur. Etwas unbefriedigend, wenn man sich den Word Count anschaut

Jana schrieb gestern über das, was uns nicht auffällt. Eine Menge. Ich habe versucht, die Herausforderung anzunehmen und darauf zu achten, was mir alles nicht auffällt. Es ist schwierig! Der Kopf versucht immer wieder, die Abkürzung zu gehen und auszublenden, was er nicht braucht. An einer der Hauptverkehrsachsen der Stadt dem Gehirn zu befehlen, achtsam zu sein… Ausblenden ist das, worauf es konditioniert ist. Der Dauerverkehrslärm, das Gehupe, die An- und Abfahrt der öffentlichen Verkehsmittel, das Rauschen. Also! Konzentration! Was ist mir die letzten Tage, Wochen, Monate, Jahre nicht aufgefallen? Reizüberflutung.

Vielleicht hilft zählen. Aber was? Autos? Nein ganz sicher nicht. Könnte ich die Zeit stoppen und alle einfrieren lassen, wären es schon zuviele. Häuser? Ich sehe von hier aus bis zu den Bergen, alles dazwischen ist ein einziges Häusermeer. Als würde man die Tropfen im Meer zählen wollen.
Ich tue es Jana gleich: Kräne! Aber das Zählen ist erneut nicht leicht. Sofort schaltet sich wieder das Gehirn dazwischen und versucht, sie auszublenden. Ich versuche, achtsam zu sein und zähle … 5.
Nein, doch 6. Den einen großen, direkt vor meiner Nase, habe ich übersehen. Wieder einmal ausgeblendet. Und das da hinten, etwas verschwommen? Könnte das ein Kran sein oder ist es doch nur eine Antenne? Also vielleicht sogar 7.
Und dann sehe ich etwas Neues. Etwas, das unerwartet kommt: von hier aus sehe ich den Eiffelturm. Wenn man von München aus nach Süden blickt, sieht man den Eiffelturm.


Jana

Der Himmel ist heute blau, durchzogen mit weißen Wolkenbändern. Man kann sehr weit sehen. Neben den Türmen von St. Benno blitzen die runden Kuppeltürme des Doms zu Unserer Lieben Frau über die Dächer der Nachbarhäuser. (Ich sagte ja, dass ich einen traumhaften Blick habe.) Auf dem Dach des Hauses nebenan suhlen sich zwei Tauben in der Regenrinne. Ist das schön, in so einer Regenrinne? Vielleicht passt die Rundung gut zu ihren Körpern, es sieht jedenfalls aus, als hätten sie es sehr bequem. In dem Baum am nächsten zu meinem Fenster saß heute Morgen eine Krähenfamilie. Zehn Vögel auf den blattlosen Ästen verteilt. Ganz ruhig und einträchtig genossen sie die Aussicht. Die Wolken haben heute ganz unterschiedliche Formen. Wölkchen und Schlieren und Tupfen. Die Sonne lässt manche Wolken leuchten, andere verschleiern nur ganz leicht das Blau. Hätte ich Ahnung, wüsste ich, ob das etwas für das kommende Wetter aussagt. So genieße ich einfach nur den Anblick. Heute ist ein wunderschöner Tag, um einfach mal nur aus dem Fenster zu schauen.

H

Jana

Drei Krähen betrachten den Sonnenaufgang. Auch ein schöner Buchtitel. Die drei Krähen sitzen im Baum vor meinem Fenster mit Blick nach Osten. Die aufgehende Sonne glitzert an einem der Kräne, der sich (Überraschung!) hin und her bewegt. Die Silhouette von St. Benno thront vor einem Himmel, der sich erst rot, dann orange, dann gelb verfärbt, bevor er in strahlendes Blau übergeht. Auch die runde Kuppel des Doms lässt sich heute wieder blicken. Ein rosa Wolkenband zieht über mir hinweg. Eine Spatzenfamilie fliegt vorbei und lässt sich auf einem anderen Baum, mit großen Abstand zu den Raben nieder. Dort sehen sie für den flüchtigen Beobachter aus wie übrig gebliebene Blätter. Ein Flugzeug hinterlässt einen Silberstreif am Horizont. Die Krähen halten in ihrer Betrachtung kurz inne und diskutieren etwas. Es scheint wichtig zu sein. Über mir zieht noch immer das Wolkenband, der Himmel leuchtet mehr und mehr. Ich glaube, das wird ein guter Tag werden.


Carmen

Und ob das ein guter Tag werden wird, liebe Jana. Und ob! Heute morgen wusste ich auf einmal, wie sich eine wichtige Nebenfigur in meinem Romanprojekt verhalten wird. Natürlich, es war absolut logisch, aber SO ein krasser Twist. Zumindest für mich. Ich saß da und war fassungslos: wird sie das wirklich tun? Natürlich, wird sie das. Ich hätte durch mein Zimmer tanzen können, wäre es etwas aufgeräumter und tatsächlich Platz dafür vorhanden gewesen. 

Habe ich nicht gesagt: wenn man morgens die Berge von mir aus sieht, wird es ein guter Tag. Jetzt ist es 10 Uhr und verdammt nochmal ja, das hier ist ein guter Tag! Vielleicht werde ich sogar ein bisschen aufräumen, nur um tanzen zu können.

Euch allen einen wundervollen Start heute ins Wochenende!

Carmen

Ich habe eine sehr schöne Morgen-Schreibrunde gefunden. Menschen, die ich vor zwei Wochen noch nicht kannte, mit denen ich jetzt regelmäßig morgens um 7:30 Uhr WhatsApp-Videochat-telefoniere, den Chat stummschalte und dann einfach eine bis zwei Stunden schreibe. Während sie mir und ich ihnen dabei zusehe. Lang lebe der NaNoWriMo, lang lebe die Technik.
Mein Handy stand heute morgen neben mir auf dem Schreibtisch und filmte nicht nur mich, sondern auch meinen Fensterblick.
„Wie hell und sonnig es bei dir schon ist!“, kam es von meiner Schreibpartnerin und sie zeigte mir ihren Fensterblick, eine graue, düstere Novemberlandschaft.

Als ich vor Jahren hierher gezogen bin, war ich es, die sich gewundert hatte, wie hell und trocken diese Stadt scheint. Wie wenig Regen hier fällt, gefühlt, Statistiken habe ich mir nie angeschaut. Vielleicht so eine Föhn-Geschichte, dachte ich. Sobald der Wind die Luft ein bisschen verwirbelt, stößt sie an die Berge und verliert einen Teil ihres Wassers. Dann regnet es anderswo, aber nicht hier. Das wäre meine „Ich hab keine Ahnung von Physik, weil hatte nie Physikunterricht“-Erklärung dazu. Falls der Sonnenschein morgens um 7:30 Uhr denn überhaupt einer Erklärung bedarf und es nicht einfach nur eine gefühlte Wahrheit ist, die in der Realität jeder Grundlage entbehrt. Wobei, was interessiert die Autorin in mir eigentlich die Realität. Wer, wenn ich nicht ich, hat denn die Macht, sich die Welt so zu formen, wie ich es will. Sommer, Sonne, Sonnenschein. Badeanzug, Sonnencrème und Freibadpommes. Diesen Winter mach ich mir die Welt, widewidewitt sie mir gefällt.

Jana

Die Sonne strahlt, weiße Kondensstreifen ziehen kreuz und quer über den blauen Himmel. Gerade kommt ein neuer dazu, beinahe gemächlich fliegt das Flugzeug über mich hinweg. Der Streifen blendet mich, so hell strahlt die Sonne ihn an. Im Hintergrund quert ein Hubschrauber die Szenerie, das Wummern der Rotorblätter dringt nur leise an mein Ohr. Manchmal hört es sich an, als würden die Hubschrauber im Innenhof landen, dann, wenn sie das Herzzentrum in der Nähe ansteuern. Aber dieser hat ein anderes Ziel. Vielleicht dient er der Verkehrsüberwachung.
Eine Krähe sitzt stumm und starr auf dem Schornstein schräg gegenüber. Ein Nachbar sonnt sich auf dem Balkon. Einige Tauben fliegen auf und verteilen sich in den Ästen des Baums an meinem Fenster. Noch ein Flugzeug, heute ist aber viel los am Himmel. Die Sonne wärmt durchs offene Fenster meine tippenden Finger, gleichzeitig streift ein kühler Wind meine Unterarme. Vom Spielplatz im Innenhof tönt Kindergelächter zu mir herauf, die Kirchturmuhr schlägt drei Mal. Ich habe keine Lust mehr hier zu sitzen und zu tippen. Ich gehe jetzt raus!

Jana

Der Himmel ist heute grau. Im Baum vor meinem Fenster hat sich der gesamte Krähen-Clan versammelt. Eltern, Kinder, Großelten, Urenkel usw. Mehr als zwanzig Tieren hocken in den Zweigen. Den oberen, so dünn wirken sie von hier aus, dass man meinen könnte, sie müssten unter dem Gewicht brechen, aber nein, sie halten. Eine der Krähen balanciert sogar auf dem obersten Ast, herrschaftlich überblickt sie alles: Das Viertel, die Stadt, ihre Landsleute. Ob sie der Clan-Chef ist? St. Benno wirkt heute winzig neben dieser Übermacht. Ich muss an Hitchcocks „Die Vögel“ denken. Mich überfällt ein leichter Schauer: Das Grau, die Krähen, die Schatten in meiner Küche. Die perfekte Szenerie für einen Horrostreifen. Aber jetzt ist das Licht in der Fahrerkabine des blauen Krans angegangen, der heute tatsächlich mal in die gegensätzliche Richtung zeigt wie sonst. Ein kleiner beruhigender Schimmer. Ich sehe auch Lichter in den Nachbarhäusern und Menschen im Innenhof. Die Herrschaft der Vögel ist nicht ausgebrochen. Noch nicht.
(Nachdem ich den Text quer gelesen habe, sind die Vögel aus dem Baum verschwunden, das Grau des Himmels hellt auf.)


Carmen

NaNoWriMo: 1005 Wörter nach dem Neustart

Die Nacht hat es geregnet. In der Früh bin ich aufgewacht und habe wie immer erst einmal das Fenster groß aufgerissen und dadurch eine Pfütze auf dem Schlafzimmerboden hinterlassen. Das kommt davon, wenn man noch zwei Tage zuvor sich darüber auslässt, wie hell und trocken die Stadt ist. Aber ein paar Tropfen Regen sind ja noch kein Gegenbeweis. Und fünf Minuten Regen bestätigen eher die Regel, denn jetzt ist er schon wieder weg, der Regen, und die Straßen schon fast wieder trocken.
Jana schreibt so häufig über die Krähenfamilie und die Vögel, die sie beobachten kann. Ich habe das Gefühl, bei mir gibt es keine Tiere. Nicht hier, so hoch oben, so nah an der Hauptstraße. Hier ist es zu hektisch, zuviele Autos, Lastwagen, Menschen, Busse. Taubenspikes auf jedem Schild, an jeder Dachrinne, auf jedem Geländer. Dazu kommt, dass es fast keine Bäume gibt, hier in der Umgebung. Dabei wurde beim Neubau des Glaskastens gegenüber darauf geachtet, ganze zwei Bäumchen mit einzupflanzen. Man erinnere sich: Feng Shui und so. Aber die Bäumchen sind noch jung, keine zweieinhalb Meter groß und habe bereits alle ihre Blätter verloren. Die könnten im Moment noch nicht einmal einen Spatz tragen, so fragil sehen sie aus.

 

Jana

Der Tag bricht an. Am Himmel rosa Schlieren neben dunkelgrauen Wolkenbändern. Schwarze, blattlose Äste und Zweige vor hellblauem Grund. Eine Krähe auf dem höchsten Zweig, ganz offensichtlich mögen Krähen den Morgen genau so gerne wie ich. Der Tag ist noch jung, alle Möglichkeiten noch vor einem. Und gerade dieser helle Morgen verspricht einen zumindest sonnigen Tag. Natürlich gibt es so viele Dinge, die nicht vom Wetter abhängig sind und die einem den Tag vermiesen könnten. Für mich ist es der dritte Tag in einer komplett neuen Umgebung, das flaue Gefühl im Magen kann ich noch nicht wegargumentieren. So sehr ich es mag – neues Umfeld, neue Möglichkeiten, neuer Tag – es ist auch anstrengend, immer Neues an sich heranzulassen. Das Gewohnte, das Altbekannte, ein Wohlfühltrott hat durchaus etwas für sich. Und ein bisschen Trott nehme ich ja mit in das Neue, nämlich diesen Fensterblick.
Ich glaube, ich möchte Freundschaft mit dieser morgenliebenden Krähe schließen, die da gerade über allem thront, hoch, höher, am höchsten. Wie schön muss der Blick von dort sein? Ich beneide sie darum. Und nicht nur ich. Die Verwandtschaft ist gerade gekommen und hat sie verscheucht. Sie muss nun einen halben Meter tiefer sitzen.



Carmen

NaNoWriMo: 1740 Wörter nach dem Neustart

Ich sollte meine Fenster putzen. Wenn die Sonne so hereinstrahlt, sieht man die Schlieren des Wassers nur zu gut. Im März, gefühlt war es gestern, habe ich Fensterfolie an meine Fenster geklebt, die die Sonnenstrahlen im Sommer zurückwerfen sollten, so dass es hier drin nicht so warm werden würde. Ein kleiner verzweifelter Versuch, sich vor den kommenden Sauna-Monaten zu schützen. Um die Fensterfolie aufzutragen musste Seifenwasser, viel Seifenwasser genutzt werden. Und als das Seifenwasser getrocknet war, gab es überall schöne Seifenmuster an den Fenstern. Seitdem habe ich mich nicht mehr getraut, mit neuem Wasser das Glas zu berühren. Wenn sich die Folie nun wieder löst, wenn sie nass ist? War dann die ganze Mühe im März umsonst?
Nachdem man die Schlieren nur dann sieht, wenn die Sonne im richtigen Winkel hereinscheint, denke ich die meiste Zeit eh nicht dran. Aber jetzt. Jetzt sehen sie doch ziemlich schlimm aus.
Fensterputzen also auf die To Do Liste. Mist. Morgen öffne ich das Fenster wieder vor dem Fensterblick. Weniger Stress. Mehr Verdrängungsmöglichkeiten.

Carmen

NaNoWriMo: 3689 nach Neustart

Ein bisschen klar, ein bisschen trüb. Bestes Wetter. Eigentlich bräuchte man eine Dachterrasse, eine Yogamatte und dann würde man sich – natürlich – jeden Morgen bei Wind, Wetter und Gurkenwasser, aber natürlich bevorzugt bei Sonnenschein, erst einmal 30 Minuten um die eigene Fitness kümmern. So etwas tun Leute doch mit einer Dachterrasse, oder nicht? Und dann stellen sie dazu Youtube-Videos online, damit Menschen ohne Dachterrasse erkennen, dass es nicht an ihnen liegt, dass sie keinen Frühsport machen, sondern nur an der fehlenden Dachterrasse. Was sehr nett ist von den Dachterrassenbesiter*innen, uns diese Schuldgefühle und den Selbsthass zu nehmen.

Man kann Menschen ja immer in unterschiedliche Gruppen einteilen. Eine mögliche Einteilung lautet wie folgt:
Dachterrassenbesitzer*innen, Gartenbesitzer*innen, Menschen mit einer Grünanlage in der Nähe, Nichts davon.

Bei den ersten drei Gruppen gibt es – selbstverständlich – Überschneidungen. Die letzte Gruppe, mathematisch logisch, ist komplett außen vor. Nun muss jede für sich selbst erkennen, zu welcher Gruppe sie gehört und wenn ja, ob Schach vielleicht eine Alternative ist.


Jana

Was für ein Leuchten! Ein Foto könnte das nie zeigen. Die Sonne schiebt sich ganz langsam über das Dach des Nachbarhauses und strahlt dabei die Türme von St. Benno an. Es hat etwas Magisches, ja vielleicht sogar Göttliches. Licht, das durch Kirchenfenster fällt. Ein erleuchteter Altar, ein lichtdurchflutetes Kirchenschiff, Sonnenstrahlen, die durch Kuppelfenster auf den Boden fallen. Kirchen können magische Orte sein. Obwohl ich nicht gläubig bin, zählen Kirchen für mich zu den Orten, in denen ich Ruhe finde. Jetzt hat die Sonne das Dach überwunden und strahlt direkt in meine Augen. Ich muss mich kurz umsetzen.
Orte der Ruhe, Orte der Stille. Bibliotheken, Kirchen, Natur. Orte, die mich runterbringen, Orte, an denen ich einfach mal nur sein kann. Das Meer gehört auch dazu, obwohl es nicht still ist. Und laut ist es mir ohnehin am liebsten. Laut und tosend, so dass es die inneren Stimmen übertönt. In den nächsten Wochen will ich mich viel mit meinen inneren Stimmen beschäftigen und eigentlich möchte ich heute schon davor weglaufen. Es heißt immer, Akzeptanz sei der erste Schritt. Es ist, wie es ist. Aber ist es eigentlich gut? Oder wird es das nur? Oder?

 

Jana

Ich fühle mich wie eine kaputte Schallplatte, aber heute beobachten die Krähen wieder das Farbenspiel des Sonnenaufgangs. Und hatte ich schon erwähnt, wie wunderschön das ist? Und dass ich Morgen liebe? Obwohl ich heute furchtbar müde bin und daher leider mein Kopf auch nicht sehr viel mehr Wörter ausspuckt als schön, müde, Kaffee, schön… äh ja, das hatten wir schon. Vielleicht macht Ihr das auch mal, diesen Fensterblick. Morgens bevor man so richtig wach ist, so bereit für den Tag. Einfach hinsetzen und der Sonne beim Aufgehen zuschauen. Da passiert so wahnsinnig viel, ohne dass man etwas dafür tun muss. Einfach nur schauen und genießen und ab und zu am Kaffee nippen und das Gehirn in Betriebstemperatur bringen. Oder Tee. Oder beides. Werde ich jetzt auch tun. Ich wünsche Euch einen wunderschönen Tag!


Carmen

NaNoWriMo: 4100 nach Neustart

Es ist, wie es ist. Mein Mantra der letzten zwei Monate. Dinge ändern, die man ändern kann und akzeptieren, die nicht zu ändern sind. Jana stellte gestern die Frage nach dem „gut-sein“. Wenn es ist, wie es ist, ist es nicht unbedingt gut. Vermutlich sogar ganz im Gegenteil, sonst würden einem diese paar Worte nicht einfallen. Es ist, wie es ist. Der bewusste Gedanke daran, es akzeptieren zu müssen.
Aber wenn man diesen Schritt gegangen ist, den Schritt der Akzeptanz, folgt häufig die Befreiung. Es ist nicht zu ändern. Also ändere ich etwas anderes. Das, was ich ändern kann. Verbessere Details. Erfreue mich an den von mir arrangierten Details. Macht es das besser? Vielleicht. Vielleicht nicht. Ist es wirklich wichtig? Ergibt mein Geschwurbel hier Sinn? Naja, wie man sieht, ist es noch früh. Guten Morgen, Welt. Wenn du kurz Pause machst, packe ich hier mein Zeug zusammen und bin da. Halte Schritt. Bis gleich.

Jana

Die Wolken am Horizont türmen sich zu grauen Bergen auf. In Zeitlupe bewegen sie sich, steigen nach und nach höher auf und ziehen dann weiter. Wie ein eigenständiges undurchsichtiges Wesen, dass sich langsam in der Stadt ausbreitet und alles Leben verschlingt. Ich habe – wie immer – meine Krähen zu Besuch, die das Schauspiel ebenso fasziniert beobachten wie ich. Abgesehen von dem tödlichen Wolkenmonster sieht der Himmel heute freundlich aus. Hellblau, rosa, babyblau, ein beruhigender Farbmischmasch. Der gelbe Kran bewegt sich – Premiere! Überhaupt stehen heute alle Kräne anders als sonst. Da scheint ziemlich was los zu sein, dort in der Ferne, wo auch immer das genau ist. Freitag. Ein Tag zum Freisein. Ich wollte heute eigentlich den Fensterblick schwänzen, aber dann kam das graue Wolkenmonster und ich fing ganz automatisch im Kopf an, meinen Text zu verfassen. Und es ist schön zu wissen, dass dieser Monat mir jetzt schon einen achtsameren Blick aus meinem Fenster geschenkt hat. Zehn Tage noch, die Halbzeit ist ganz unbewusst an mir vorbei geschlittert.

Carmen

NaNoWriMo: 4800

Ein neues Experiment. Heute diktiere ich meinen Text. Alles, was hier steht, habe ich davor laut in meinem nicht mehr ganz so stillen Kämmerlein laut ausgesprochen. Es ist das erste Mal, dass ich einen Text diktiere. Ich bin gespannt, was danach dabei herauskommt.

Die Sonne scheint als ob sie kein Wässerchen trüben könnte. Aber es ist heute wirklich sehr kalt. Ich bin schon draußen gewesen. Ich habe das Gefühl, dass das Diktieren des Textes meinen Text nicht natürlicher, sondern sich umständlich gestaltet. Und dann stoppt die Diktat Funktion meiner App auch noch ständig ohne Vorwarnung. Gut, das ist kein längerer Text war, den ich versucht habe, zu diktieren. Das wäre ja ärgerlich gewesen. Ich teste diese Funktion heute, um herauszufinden, ob diktieren eine Möglichkeit ist, schnell meinen Roman zu schreiben. Schneller meinen Roman zu schreiben. Aber ich empfinde es als so umständlich, und so humorlos, dass ich geneigt bin, nur im Notfall darauf zurückzugreifen. Kein Fensterblick nach Draußen, sondern in die Zukunft.

Carmen

NaNoWriMo: 5903

Die Wolken erinnern mich an die Wolken aus dem Zeichentrickfilm „Der König der Löwen“. Langgezogen, schmal, mit einem Hauch Rosa. Sie sehen komplett körperlos aus, einfach auf den Himmel drauf gemalt. Kein 3D sondern nur 2D.

Es ist heute ruhiger draußen, ein paar wenige Fußgänger ein einzelner Radfahrer, kein einziges Auto in Bewegung. Ich höre die Autos, sie können nicht weit sein, aber vor meinem Fenster fährt keines vorbei.

Die Sonne steht direkt gegenüber von meinem Fenster, aber tief. Wenn sie im Sommer so tief steht, sieht man sie viel weiter östlich oder westlich und es ist viel früher oder viel später am Tag. Jetzt ist es fast Mittag und die Sonne steht tief. Willkommen im Herbst, der Winter steht vor der Tür. An einigen Schornstein steigt weißer Rauch empor. Habemus Papam, mehrfacht. Das habe ich die letzten Tage noch nicht beobachten können, das ist neu. Auch ein Zeichen dafür, dass es kalt wird: immer mehr Heizungen, die laufen. Ich kann mich ja nicht entscheiden, ob ich lieber eine eingeschaltete Heizung habe, oder frische Luft von draußen. Wenn die frische Luft nur nicht so kalt wäre. Am liebsten wäre mir ja beides: schön warm kuschelig hier drinnen, und trotzdem frische, klare Luft von draußen.

Lang lebe der Klimawandel.

Jana

Eine Krähe heult den Mond an. Natürlich ist da kein Mond und die Krähe heult nicht, es ist eher ein rauer gutturaler Ton, aber mir fällt partout kein passendes Wort dafür ein. Das ist das Pech an kurzen Schreibübungen, man kann nicht noch eine Weile über das gewünschte Wort philosophieren, es ist da oder eben auch nicht. Jedenfalls scheint die Krähe ihre Freunde/ Familie gerufen zu haben, jetzt sitzen wieder mehr Vögel in den Bäumen und betrachten das blaue-graue müde dahinziehende Wolkenband. Obwohl heute kein Farbenspiel am Himmel ist, hat der Morgen etwas Positives, Beruhigendes an sich. Das Grau ist kein trauriges, eher ein stilles. Es ist von hellen Flecken durchzogen. Die Kräne im Hintergrund stehen unbewegt, keine Menschenseele im Innenhof zu sehen. Irgendwo krächzen (und da ist das Wort!) und rufen ein paar Vögel. Da ist auch Zwitschern und Piepen und im Hintergrund rauscht Verkehr. Durch das offene Fenster zieht Kälte in den Raum. Schluss für heute.

Jana

Heute ist es noch sehr düster. Ich habe das Licht ausgemacht, um das Draußen besser sehen zu können und nun drohen mir die Augen wieder zuzufallen in diesem angenehmen Dunkel, wenn da nicht der Kaffeeduft wäre, der an meine Nase zieht. Mir fehlen irgendwie mindestens drei Tage Schlaf. Aber der wird ja auch überbewertet, habe ich gehört (Wer sagt sowas???). Wo war ich? Fensterblick! Sehr düster und grau, aber der Mann im Radio sagt, die Sonne kommt. Die Luft ist kalt und frisch, meine Krähen haben sich heute auf den Baum weiter weg von meinem Fenster verzogen. Warum? Ich nehme an, die Aussicht ist dort besser, er ist höher, aber das war gestern doch auch schon so. Liegt es am Wetter? Am Dunst? Weil heute Dienstag ist? Wo haben sie letzten Dienstag gesessen? Das Rauschen des Verkehrs ist heute lauter als gestern. Die Lampen im Innenhof leuchten. Der erste Nachbar hat eine Lichterkette um das Balkongeländer geschlungen. Nein, gerade sehe ich sie nicht, aber gestern Abend dachte ich, da muss ich heute Morgen unbedingt drüber schreiben. So sind sie, die Autor*innen, machen sich die Welt, wie sie ihnen gefällt.

Jana

Die Welt ist in diffuses Grau getaucht, noch gibt es keine Ahnung von Licht oder Sonnenaufgang, aber es ist schon irgendwie hell. Die Lampen im Innenhof leuchten, ein paar Fenster der Nachbarhäuser sind erleuchtet, die Lichterkette am Balkon des Nachbarn leuchtet wieder nicht. Weiß er denn nicht, dass ich mich darüber freuen würde, wenn ich morgens meinen Fensterblick mache? Ich finde das schon ein bisschen egoistisch von ihm, nur an sich zu denken. Die Krähen sammeln sich. Sind aus dem Bett gekrochen und treffen sich zur Morgenrunde.
– Und, was hast du so vor heute?
– Ein Eichhörnchen jagen.
– Ich will heute im Schlosspark Nymphenburg jemandem auf den Kopf kacken.
– Iih, das machen doch nur Tauben!
– Ich will halt mal meine spielerische Seite ausleben.
– Du bist doch nur eklig!
Oder so ähnlich. Was tun Krähen eigentlichen den ganzen Tag? Und wo schlafen sie? Schlafen sie überhaupt? Schlafen sie besser als ich? Führt Schlafmangel zu geistiger Verwirrung? Erstmal guten Morgen. Ich glaube, das Grau wird allmählich leicht bläulich. Ich kann mich aber auch irren.


Carmen

NaNoWriMo: 9300

Tack-Tack-Tack-Tack. takakakakakakakakakakakakakakakack! Tikektiketiketiketocktacktacktaktaktaktaktaktak. Tatütatatatütatatatütatatatütata.

Seit 7:30! Seit 7 Uhr f**ing 30, sind DIE der Meinung, direkt – direkt (!) unter meinem Fenster den Bürgersteig aufreißen zu müssen. Wie sehr habe ich die letzten Jahre gelernt, das Geräusch des Presslufthämmerns zu hassen.

Vor drei Jahren fing es an: direkt neben dem Haus wurden zwei neue Hotels gebaut. Es wurde gehämmert und abgerissen, als gäbe es irgendeinen Wettstreit zu gewinnen. Eines Tages kamen sie sogar mit solch fertigen Betonmauern, die sie in den Boden rammten, um direkt unter der Einfahrt einen unterirdischen Kontrollraum (?) für irgendelche Kabel und Rohre und was weiß ich zu kreieren. Sie hatten bereits ein einigermaßen – einigermaßen – passendes Loch gebuddelt, dann stellten sie die Betonwand oben an den Rand des Lochs, ein Bagger kam dahergefahren und haute so oft mit der Schaufel oben auf die Wand, bis sie halt eben unten im Loch drin stand. Unser komplettes Wohnhaus hat so stark gewackelt, dass sich einige neue Risse in den Wänden bildeten. Hat übrigens im Nachgang niemanden interessiert. Dieses „in den Boden rammen“ hat sich mehrere Tage über mehrere Stunden hingezogen. Extreme Stresssituation – stell dir vor, dein Zuhause ist mehrere Tage lang einem Erdbeben ausgesetzt. Du kannst nirgendwo hingehen, weil einfach alles vibriert. Dafür ist der Mensch nicht gemacht – wir wollen nicht über Stunden auf wackeligem Untergrund uns bewegen oder sitzen. Massagestühle sind die Ausnahme, die die Regel bestätigen.
Der Bau beider Hotels hat sich ungefähr zwei Jahre gezogen, da war es eine Freude, als der Winter kam: endlich ausschlafen können und nicht morgens sogar vor 7 Uhr durch presslufthämmern aufgeweckt werden.

Als die Hotels fertig waren, gab es einen kurzen Moment der Freude, bis sich herausstellte, dass vermutlich von anderen Menschen mit anderem Geld und anderen Interessen beschlossen worden war, dass da dieses Eckhaus (wo mittlerweile das hübschere der beiden hässlichen Bürogebäude steht) abgerissen werden müsste. Also wieder von vorne: presslufthämmern, als müsste man einmal durch die Erde durch nach China sich durchbuddeln. Das war noch einmal eine neue Größenordnung an Lärmbelästigung: übermotiviert wie die waren, starteten die jeden Tag um 6:30/6:45 mit presslufthämmern. Das ging über Monate. ÜBER MONATE! Egal, wie lange man tags zuvor wach gewesen war, gearbeitet hatte, gefeiert hatte, einfach nur nicht einschlafen konnte: ab 6:30 war an Schlaf oder Erholung nicht mehr zu denken. Nur noch an takatakatakatakatakatakatakatakatack! Etwas positives muss man über die neuen Bauherren allerdings sagen: Immerhin haben sie nicht versucht, das neue Gebäude in den Boden zu rammen, sondern haben es schön Stück für Stück aufeinander gebaut.

Aus welchem besch***enen Grund DIE jetzt ENDE NOVEMBER (???) auf beiden Straßenseiten vor meinem Fenster den Bürgersteig aufreissen müssen, interessiert mich einen verf***ten Sch***. Ich hasse Presslufthammer, ich hasse das Geräusch und die sollen mir bitte nur dieses Jahr meine Ruhe lassen. Danke für Nichts!

Ah und jetzt im Kanon: vorne Presslufthammer, hinten Laubbläser und irgendwo weiterhin eine Polizeisirene. Die Musikalität der Großstadt.

Jana

Habt Ihr die Sonne gestern genießen können? Ich hatte die Möglichkeit, in der Mittagspause auf den Monopterus zu schlendern und das Gesicht in die Wärme zu halten und den Ausblick zu genießen. Warum mir das jetzt einfällt? Na ja, draußen ist es wie gestern ziemlich grau. Ich habe mir heute mal das Bild vom 1. November angeschaut und da ist ein Teil der Bäume vor meinem Fenster noch mit roten, leuchtenden Blättern behangen. Jetzt sind alle kahl. (Am Wochenende gibt es ein Abschlussbild.) Die Krähen verteilen sich heute auf ihre beiden Stammplätze, eine Schar Spatzen flattert zwischen beiden hin und her und kann sich nicht entscheiden. Vermutlich sind Krähen nicht ihre Lieblingssitznachbarn. Ich habe schon lange keine Tauben mehr morgens auf dem Nachbardach gesehen. Vielleicht ist ihnen zu kalt. Die Kräne stehen heute gegensätzlich zum 1 November. Alles ist in Veränderung. Das ist das Einzige, was sicher ist. Oh, und St. Benno steht natürlich immer noch dort, wo sie immer steht und ihre Türme wachen über das Viertel.

Jana

Nebel hängt zwischen Bäumen und Häusern. Es ist eisig. Verträumt wie im russischen Märchenwald. Ein paar Knöpfe sind auf dem Weg in die Schule, die Schultaschen sind fast größer als sie selbst. Vielleicht begegnen sie heute dem Glasmännchen oder einem Gnom – auf jeden Fall soll es ein freundliches Märchengeschöpf sein. Es erfüllt ihnen einen Wunsch, jedem einen. Kekse, Spielzeug, den Weltfrieden. Was würde ich mir wünschen? Keine Ahnung, vielleicht dass alles so bleibt, wie es gerade ist. Im Großen gibt es zwar vieles, was nicht gut läuft, um nicht zu sagen besch*. Aber in meinem kleinen Wirkungskreis ist es gerade ziemlich okay. Und so ein Gnom oder Zauberwesen kann nicht die ganze Welt mit einem Wunsch besser machen, da muss man vorsichtig sein, was man sich wünscht. Ich denke, ich mache es mir einfach und gebe meinen Wunsch ab, an jemandem, der ihn dringender braucht. Der Himmel bekommt gerade rosa und blaue Tupfen und die Türme von St. Benno tauchen aus dem Nebel auf. Ich muss dann jetzt auch los… einen schönen Freitag und dass ein Wunsch von Euch in Erfüllung geht!

Jana

Der (vor)letzte Fensterblick. Obwohl ich es letzte Woche jeden Morgen geschafft habe und auch vorhabe, in Zukunft mir diese Viertelstunde Schreiben jeden Morgen zu erhalten, will ich mich für morgen nicht festlegen. Denn es ist Montag und na ja, Montag eben. In meiner Wohnung herrscht das völlige Chaos. Ich wollte gestern Abend Akten vernichten (wieso klingt das so, als müsste ich ein Mafiaunternehmen vertuschen?) und nach etwa einer Dreiviertelstunde hat sich der Aktenvernichter aufgehängt und ich habe vier Stunden erfolglos (!!!) versucht, mit einer Nagelschere (nicht nachmachen!!!) das Papier aus den Schneideblättchen zu pulen. Am Ende sah mein Wohnzimmer aus, als wäre… na ja, ein Aktenvernichter explodiert und… ähm… Fenster! Der Blick nach draußen ist schön, auf jeden Fall viel schöner, ruhiger, entspannender als der Blick in meine Wohnung. Ich sollte am Fenster sitzen bleiben. Ein wenig Weihnachtsdeko hat sich auf das Fensterbrett gestohlen. Apropos stehlen: Vorhin habe ich eine Elster auf dem Dach des Nachbarhauses gesehen. Scheint neu in der Gegend zu sein. Sie ist majestätisch über das Dach gehüpft und hat sich alles genau angesehen, aber wohl keinen Schatz gefunden. Am Ende ist sie einfach auf und davon. Ein paar Tauben waren zwischendurch da, hatte sie ja lange nicht gesehen. Vielleicht ist jetzt nur noch sonntags Tauben-Tag. Ich sehe Rauch aus einem Schornstein aufsteigen, aber nur aus einem. Heizen die anderen Haushalte noch nicht? Von St. Benno kann ich mittlerweile auch die Kuppel zwischen kahlen Ästen hervorblitzen sehen. Die Sonne müht sich, ihre Strehlen durch die Wolkendecke zu schicken, es klappt nicht ganz, doch das Leuchten in dem weiß-grauen Wolkenband macht Hoffnung. Ich bilde mir ein, sogar ein paar blaue Lücken zu sehen. Die Wolken ziehen dahin, warten mir mal ab.

Jana

Grau-blau-weiß, der Blick aus meinem Fenster wirkt ein wenig farblos, aber das ist in Ordnung, die Welt wacht gerade erst auf, der Morgen ist noch ganz frisch. Die Farben müssen erst noch aufgefrischt werden, dann strahlt alles wieder. Es ist eisig kalt. Die Tauben haben sich wie immer zuletzt im Warmen versteckt und selbst die Krähen scheinen heute ein wenig müde zu sein. Sie sind da, aber ihr Blick ist diesmal gar nicht Richtung Osten gerichtet. Sie wirken eher in sich zusammengekuschelt und denken sich vermutlich das Gleiche wie ich heute Morgen: „Nur noch fünf Minuten!“ Aber die Zeit ist da gnadenlos oder besser, die Uhr ist es. Denn der Zeit ist es ja ziemlich egal, die ist immer da und tut, was Mensch will und Mensch hat sich eben entschieden, sie zu messen. Und Mensch hat sich entschieden, zu einer bestimmten Zeit irgendwo sein zu müssen und nennt das dann pünktlich. Und pünktlich erinnert mich sehr an Pünktchen und ist das nicht ein sehr niedliches Wort? Wenn man sich nun immer, wenn der Wecker klingelt, an diese Assoziation erinnert, kann man vielleicht morgens wenigstens lächeln. Absurd? Vielleicht.
Pünktlich zum 30. November jedenfalls geht dieses Schreibexperiment zu Ende. Fazit: Es ist schön, sich morgens Zeit zu nehmen in Ruhe aus dem Fenster zu blicken. Es bremst diese ganze hektische Morgenroutine und ich bin wirklich überrascht, dass ich diese Zeit hatte, jeden Morgen und trotzdem pünktlich war, wo ich zu sein hatte. Ich werde versuchen, diese Routine beizubehalten und als erster Schritt startet morgen das nächste Schreibexperiment. Also liest man sich morgen wieder!


Carmen

NaNoWriMo: 12.400 Wörter

Der letzte Tag des Experiments. Ein Fazit, ein Fazit.
In diesem Monat ist viel und wenig passiert. Die Corona-Zahlen sind zuerst nach oben geschossen und haben sich dann auf einen hohem Level eingespielt. Wer keinen Präsenzjob hat, wie ich, hat nicht mehr viel Motivation, die Wohnung häufig zu verlassen. Der Fensterblick hat eine neue Bedeutung bekommen. Es ist nicht mehr das Loch in der Wand, was das Licht durchlässt, den Luftaustausch gewährt, mehr Lärm reinlässt, als ich es wünschen würde. Das Fenster wurde das Tor zur Welt. Wie ist das Wetter? Was tragen die Menschen? Wie weit kann ich sehen? Wie viele Sirenen habe ich heute gehört?

Als wir mit dem Experiment angefangen haben, habe ich gezweifelt. Zweifel sind jedoch kein Grund, etwas nicht zu tun. Und die Zweifel bestehen immer noch.
Das hier ist kein Experiment für Dich, unsere Leser*in. Es war immer ein Experiment für uns, die Autorinnen.
Eine Achtsamkeitsübung, konzentriere dich auf das, was da ist. Halte deine Gedanken im Moment. Besonders leicht ist das nicht immer. Ich bin es nicht mehr gewohnt, eine Gedanken mehr als ein paar Sekunden im Hier und Jetzt festzuhalten.

Man merkt es meinen Texten an: ich lenke ab, schreibe über etwas anderes als den Fensterblick oder hole mir externe Unterhaltung. Ich sinniere über die Machtergreifung von Büropflanzen und Erdbebenauslösende Presslufthammer. Irgendwann habe ich angefangen, meine Texte zu diktieren – ein Experiment im Experiment.

Mir hat der Monat viel gebracht. Das tägliche Schreiben, ob „Fensterblick“, NaNoWriMo oder Corona-Tagebuch. Vor allem im Romanprojekt bin ich durch die zusätzlichen Übungen links und rechts die letzten Tage so gut vorangekommen, dass ich dieses Experiment über die letzte Woche stark vernachlässigt habe. Als Entschuldigung kann ich behaupten, dass es immer später hell und immer früher dunkel geworden ist. Immer öfter war es neblig, meine Berge waren nicht mehr sichtbar. Aber eigentlich habe ich mich die letzte Woche öfter gegen den Fensterblick und für meine Figuren entschieden.

Falls Du selbst Autor*in bist, und bis hierher durchgehalten hast, rate ich Dir: probiere es mal aus. Schreibe einen Monat lang jeden Tag 10 Minuten lang über das Gleiche. Deinen Fensterblick. Deinen Hund. Dein Baby. Deine Tasse Tee. Und beobachte, was es mit dir macht.

Fazit Schreibprojekt:
Ich habe alle meine gesetzten Ziele erreicht. Was für ein unglaubliches Gefühl. 
Ziel 1: sich regelmäßig um eine feste Uhrzeit hinsetzen und schreiben. (Mit Ausnahme von 2 Tagen)
Ziel 2: 15000 Wörter schreiben.
Ziel 3: 20.000 Wörter schreiben.

Ich habe mal zusammengezählt, was ich habe:
Romanprojekt Versuch 1 vom 1.11.-11.11: 5800 Wörter
Story Arc, Character Arc, Überarbeitung des Plots (12.-17.11.): knapp 9000 Wörter.
Romanprojekt Versuch 2 (ab 17.11.): 12.400 Wörter
Total: 27.000 Wörter geschrieben. Darin sind nicht mitgezählt, was ich nebenher noch hier, im Coronatagebuch oder an anderen Projekten geschrieben habe.

Wenn ich diesen Rhythmus beibehalten kann, war dieser November mit seiner Regelmäßigkeit eines der erfolgreichsten Experimente für mich seit sehr, sehr langer Zeit.


Und damit wünsche ich eine frohe Adventszeit.

Morgens während Corona (2)

von Jana, Lesezeit ca. 10 Minuten

Nach dem Ende des „Lockdowns“. Der Text entstand im Juni 2020.

Du kennst die Vorgeschichten noch nicht? „Morgens vor Corona“ und „Morgens während Corona (1)“. Lies los!

„Wir müssen uns darauf einstellen, dass unser Leben nach Corona ein anderes sein wird. Ein „wie vorher“ wird es nicht geben.“ Irgendjemand hatte das gestern in den Nachrichten gesagt. In den letzten Wochen, ja Monaten hatte immer wieder jemand so etwas gesagt. So oft, dass sie beinahe daran geglaubt hätte.

Sie starrt auf die Leute, die in den Bus drängen, die sie daran hindern, selbst auszusteigen, und weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll. Empört oder entsetzt oder gleichgültig sein. Erst aussteigen, dann einsteigen. Das hat vor Corona keiner kapiert, und das kapiert auch nach Corona keiner. Das war vor Corona scheiße und jetzt ist es noch beschissener. Nein, die Maske in deinem Gesicht allein hilft nicht, du Volltrottel. Abstand ist das Zauberwort. Anstand würde auch schon helfen. Beides bekommt sie heute morgen nicht und manchmal, ganz manchmal wünscht sie sich den Lockdown zurück. Die Zeit, als alle die Luft angehalten haben. Die Zeit, als die meisten noch dachten: „Scheiße, das ist schlimm.“ Denn bei ´Scheiße, das ist schlimm`, denkt man, dass sich etwas ändern muss. Bei ´Scheiße, das ist schlimm`, ist mancher sogar bereit, etwas zu tun. Zuhören. Rücksicht nehmen. Helfen. Die Augen aufmachen. Irgendetwas. Nicht blind in einen Bus rennen, so blind, wie durch das eigene Leben.

„Ein „wie vorher“ wird es nicht geben.“ Als sie den Satz zum ersten Mal hört, zieht sich ihr Magen zusammen. Ein bisschen Angst, ein bisschen Vorfreude, ein bisschen Abenteuer. Ein Aufbruch in unendliche Weiten, fremde Galaxien, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.

Vielleicht ist es doch ein Weckruf, diese Krise, diese Seuche, die so schnell zeigt, was schief läuft. Ein paar verheißungsvolle Phrasen ziehen durch die unzählbaren Sondersendungen, sie saugt sie begierig auf: Neubewertung, welche Berufe wirklich wichtig, weil systemrelevant sind. Diesen Berufen in Zukunft mehr Anerkennung schenken, auch finanziell, selbstverständlich, kollektives Klatschen reicht nicht. Flexiblerer Umgang mit Homeoffice, die Arbeit an sich soll neu gedacht werden. Sogar das bedingungslose Grundeinkommen wird ins Spiel gebracht. Ein Neustart mit Fokus auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Die Praktiken der Fleischindustrie hinterfragen, (wer hätte das gedacht) – so viele Hoffnungen, so viele schöne Phrasen. Und immer wieder Gemeinschaft. Solidarität. Im Moment würde ihr reichen, wenn wenigstens die Distanz geblieben wäre. Aber selbst die haben die meisten wohl nicht oft genug geübt.

Die letzte viertel Stunde fährt sie U-Bahn. 1,5 m sind viel weniger als man denkt, zumindest, wenn man sich selbst ein wenig Mut machen möchte. Und so eine Maske hilft bestimmt auch, wenn der Nebenmann sie nur in der Nähe der Nase trägt. Hauptsache, die Viren wissen, was gemeint ist. Und morgen fährt sie sowieso wieder mit dem Fahrrad, heute zählt quasi gar nicht.

„Ein „wie vorher“ wird es nicht geben.“ Nein, wohl nicht. In nächster Zukunft kann sie ihren Mitmenschen an der Nasenspitze ablesen, ob sie sich Gucci leisten können und welche Fußballmannschaft sie mögen. Sie wird an geschlossenen Lokalen, Läden und Kulturstätten vorbeigehen und sich nur mit Mühe erinnern, was dort eigentlich einmal war. Die Welt wird weniger bunt geworden sein, aber sie bezweifelt, dass es ihr auffällt. Sie könnte sowieso nicht alle Theater besuchen, selbst wenn sie wollte. Keine Zeit. Viel zu wenig Zeit. So viel von dem Verlorenen wird sie nicht vermissen.

Irgendwann wird sich alles wieder eingespielt haben, was wirklich wichtig ist. Die erste Wiesn nach. Das erste Fußballspiel mit Publikum nach. Der erste DAX-Stand von 13.000 Punkten nach. Das erste Dschungelcamp nach. Der erste …

Moment mal, da war doch… gab es nicht mal…?

„Ein „wie vorher“ wird es nicht geben.“ Doch niemand hat gesagt, wie das Nachher aussehen wird. Doch nur eine etwas blassere Kopie des Originals?

Aussteigen. Einsteigen. Den Zug verlassen, damit etwas neues passieren kann. Jetzt wird ihr klar, warum sich alles nur im Kreis dreht.

Und dann wird ihr klar, dass sie nicht vorhat, dabei mitzumachen.

Doch was wird sie tun? Erstmal eine Pause einlegen, denn rien ne va plus in Abschiede.

4

Morgens während Corona (1)

von Jana, Lesezeit < 10 Min.

Erinnert Ihr Euch an den Text „Morgens vor Corona“? Das ist quasi die Fortsetzung. Morgens, kurz nach dem Lockdown…

#stayathome #staysafe #sofasrettenleben – und sie? Steht an der Bushaltestelle, Dienstag morgen, 7 Uhr, Wind und Nieselregen. #staythefuckathome, schön wär‘s! Brot backen lernen und Gesichtsmasken stricken, Bücher schreiben, Bücher lesen, einen Six-Pack antrainieren – oder doch eher trinken. Erstmal einen zum trinken haben, aber im Moment ist in den Supermarkt gehen ja ein Spießrutenlauf. Thefuckathome! Fuck.

Die Haltestelle ist leer. Die ganze Straße ist leer, seit dem Wochenende Ausgangsbeschränkungen. Allein, allein, angemessen um die Zeit, denn mal ehrlich: Niemand sollte morgens um sieben an irgendeiner Bushaltestelle im Regen warten müssen, Corona hin oder her und trotzdem völlig verkehrte Welt. Wo kommen wir hin, wenn wir nirgendwo mehr hingehen können? Muss sie froh sein, kein Brotbacken lernen zu müssen, weil sie noch arbeiten kann? Oder Angst haben, weil sie sich dadurch nicht völlig isoliert? Und wieso eigentlich backen, haben die Leute nichts anderes zu Hause zu tun? Genaugenommen hat sie nach 124 StarTrek-Folgen wahrscheinlich tausende Leben vom Sofa aus gerettet, aber da war das eben noch nicht cool. Jetzt wohl auch nicht. Mehl soll ja auch ausverkauft sein… können die tatsächlich alle backen, so richtig? Sie ist ja schon von Dr. Oetker überfordert.

Der Bus ist leer. Leer! Ein Bus für sie ganz allein, vor Schreck vergisst sie, sich zu setzen. Der Bereich zum Fahrer mit rot-weißem Flatterband abgesperrt, wie auf einer Baustelle. Das ganze Leben eine Baustelle, gerade, alles im Umbruch, neu, nichts funktioniert, die Pausetaste gedrückt, sorry, under construction, come back later, aber die Arbeit läuft irgendwie normal weiter, einstempeln, ausstempeln war nie bekloppter als jetzt, wo doch alle die Luft anhalten, als würden sie das locker länger als fünf Minuten schaffen. Tage, Wochen, Monate in einem seltsamen Vakuum verschluckt, während die Tretmühlen weiter mahlen. So schräg.

Sie setzt sich doch, noch jemand steigt ein, schaut zu ihr, dann erinnert er sich, geht an das andere Ende des Busses. Alles neu, sich gegenseitig begrüßen neu lernen, wegducken ist der neue Handschlag. Sie will aussteigen und der Ärmel der Jacke ist zu kurz, passt nicht über ihren Daumen, doch sie kann die Taste ja nicht mit bloßem Finger berühren. Hat sie etwas angefasst? Alles, den Sitz, die Stange, vergessen und nun alles kontaminiert, herzlichen Glückwunsch, das hat sie super hinbekommen! Aber nun steht sie unter Beobachtung, der zweite Fahrgast mustert sie, die Hand unter dem Stoff ist nicht genug, die Taste leuchtet nicht rot, ihr Wunsch auszusteigen kommt nicht an. Doch der Busfahrer hat Mitleid und öffnet trotzdem die Tür.

Auf den letzten Metern trifft sie doch noch zwei Menschen, einzeln, nicht zusammen, aufgeklappter Mantelkragen, tief ins Gesicht gezogene Mütze, abgewandte Gesichter. Flüchtige im eigenen Viertel. Isoliert und herausgefallen aus der Ordnung, so wie alle jetzt. Wo gehören wir hin, wenn wir uns alle voneinander entfernen müssen? Sie hat sich noch nie so allein gefühlt. Verloren im eigenen Leben.

Die nächsten sechs Stunden beantwortet sie Fragen. Zu Corona, was sonst? Das ganze Spektrum der Verunsicherungen und Verschwörungstheorien, der Vernunftbegabten und Vollidioten, am Ende klingeln ihre Ohren. Nie wieder Corona, nie wieder. Doch es ist ja nur ein Steinwurf, ein Klick, ein Jingle, ein Blick entfernt.

Zu Fuß nach Hause, Abstand bekommen. Wieder die seltsamen dunklen abgewandten Gestalten. Als wäre eine Seuche über die Welt hereingebrochen und hätte alles Leben ausgelöscht. Scheiße, genau das ist ja passiert. So ähnlich jedenfalls. Wie soll sie sich wegträumen, wenn die Fantasie längst die Wirklichkeit ist? Nach Hause, schlafen, die Decke über den Kopf ziehen. Aufwachen und in weit entfernte Galaxien reisen. Hoffen. Vielleicht ist morgen die Welt eine andere. #Stayathome. #Sofasrettenleben?

#HaltetdieWeltanichwillaussteigen.

Mittlerweile ist eine kleine Reihe entstanden, den nächsten Teil findet ihr hier.

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