von Jana, Lesezeit < 10 Min.
Diese Geschichte ist besonders, denn sie ist die erste abgeschlossene Geschichte, die ich je geschrieben habe (während einer langweiligen Vorlesung in meinem Studium). Sie entstand 2006 (also steinalt und ich jung und unerfahren…) und Gregor Berger, den ihr vielleicht aus „Über Zitronenfalter“ kennt, erlebte mit diesem Text seine Geburt. Das ist auch der Grund, warum ich sie hier poste, quasi ein Spin-Off, auch wenn Gregor zwischenzeitlich den Beruf gewechselt hat (und ja eigentlich immer noch in diesem Fax festsitzt…).
Viel Spaß!
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Gregor Berger war ein äußerst zufriedener Mensch. Er war glücklich und erfolgreich in seinem Beruf und auch über seinen privaten Werdegang konnte er sich nicht beschweren. Mit 32 Jahren hatte er es bereits zu einem kleinen Häuschen gebracht. Hier wohnte er allein, nach einer Familie hatte er sich bisher nie gesehnt.
Dies war hauptsächlich darin begründet, dass Gregor Berger Kinder zuwider waren. Kinder wollten Geschichten hören und mit Spielen unterhalten werden und diese Vorstellung war Gregor Berger zutiefst verhasst. Das lag sehr wahrscheinlich daran, dass er an einer nahezu krankhaften Phantasielosigkeit litt. Jegliche Träumerei erschien ihm lächerlich und jeden, der ihrer fähig war, hielt er für einen Versager.
Er selbst entschuldigte dieses Verhalten damit, dass er solcherlei Phantasterei nicht brauchte, war er doch mit seinem Leben vollkommen befriedigt. All die armen Narren, die jeden Tag in seinem Büro saßen und große Augen bekamen während er ihre Ersparnisse durch Aktienfondsfiktionen jagte – was brachte es ihnen in Seifenblasen zu schweben, die beim kleinsten Widerstand zerplatzten? Gott sei Dank, so dachte er, beschäftigten ihn derlei Träume nie, da er auch des nachts von ihnen verschont blieb. Er träumte selten und nie „verrückt“, wie er sich ausdrückte.
Doch eines Nachts sollte Gregor Berger eines besseren belehrt werden. Er fiel in einen tiefen Traum. Und diesmal war es äußerst „verrückt“.
In seinem Traum stand er auf einem steilen Berg, dessen Anstieg er bereits bis zur Hälfte geschafft hatte. Er wusste nicht warum, doch er stieg weiter hinauf. Oben angekommen blickte er auf eine ihm völlig unbekannte zackige und in mystisch blaues Licht getauchte Felslandschaft, die in ein grünes Tal auslief. Aus diesem Tal erhob sich ein mächtiges Schloss mit silbrig schimmernder Fassade. Gregor Berger begann gerade sich zu wundern, als sein Wecker ertönte und er verwirrt aufwachte. Doch bereits nach der ersten Tasse Kaffee war jegliches Interesse an seinem merkwürdigen Traum verflogen.
In der nächsten Nacht stand er jedoch wieder auf dem Berg und schaute auf das fremde Land mit seinem mächtigen Schloss, das ihn beinahe magisch anzuziehen schien. Er entdeckte einen schmalen Pfad und dachte daran ihm zu folgen und durch dieses fremde Land zu reisen. Er wusste nicht warum, doch er glaubte, etwas wichtiges hier zu finden. Doch noch im gleichen Moment fand er diesen Gedanken furchtbar albern und erwachte.
Bereits eine Nacht später stand er aber wieder am Anfang des Pfades. Und diesmal rief ihn jemand:
„Gregor, komm! Komm zu mir! Trau dich und tauche ein ins Land der Träume!“
Er erschrak zunächst heftig, doch er fing sich sofort wieder und in dem Bewusstsein, dass das ja nur ein alberner Traum war, rief er abwehrend:
„Oh nein, das ist nichts für mich!“
Doch die Stimme schien anderer Meinung zu sein:
„Du verstehst nicht Gregor, dies ist mein letztes Angebot, folge dem Pfad!“
Nun war Gregor Berger doch etwas verwirrt und vor allem verärgert:
„Wer bist du eigentlich? Und was bedeutet: letztes Angebot?“
„Ich bin die Traumkönigin. Ich gebe den Menschen Träume und Hoffnungen, um ihnen Ziele zu zeigen, ihrem Leben einen Sinn zu geben. Und ich versuche auch denen, die sich mir verschließen, die Augen zu öffnen und sie auf die Jämmerlichkeit ihres Daseins hinzuweisen. Auf ihr dumpfes Dahinvegetieren in eine große Leere. So wie du Gregor! Denn fragst du dich nicht auch, wozu du morgens noch aufstehst? Welches Ziel soll dein Leben noch haben?
Gregor, folge dem Pfad, komm in mein Schloss und entdecke die Möglichkeiten, die ich dir bieten kann!“
Doch Gregor Berger war einfach nur empört, was bildete sich diese sogenannte „Traumkönigin“ eigentlich ein? Sein Leben wäre ohne Ziel. Das stimmte nicht, er hatte es einfach nur bereits erreicht. Er hatte hart gearbeitet, um sein jetzigen Leben leben zu können. Warum sollte er sich nach etwas Neuem umschauen – alles war einfach perfekt, so wie es war.
Er setzte sich auf den Boden und wartete, dass er erwachte. Dies geschah auch bald und während er sich von seinem Traum löste, fand er die Sache bereits wahnsinnig absurd und verbrachte den Morgen damit sich köstlich zu amüsieren.
Die nächsten Nächte blieb Gregor Berger traumlos und erfreute sich wieder seines normalen Lebens. Er hatte noch einmal über die Worte der Traumkönigin nachgedacht, doch sie ergaben weiterhin keinen Sinn für ihn.
Eine Woche später blickte die Traumkönigin durch ihren hohen Spiegel auf Gregor Berger hinab und seufzte. Jedes Mal tat es ihr weh, wenn sich eines ihrer Schäfchen so vehement gegen sein Glück wehrte. Doch sie musste es tun und mit einer lässigen Handbewegung wischte sie Gregor Berger aus ihrem Spiegel.
Als Gregor auf dem Weg in seine verdiente Mittagspause in die Straße mit seinem Lieblingschinesen einbog, blieb er wie vom Donner gerührt stehen. Die Straße führte nicht wie gewohnt zu dem Lokal, sondern schlängelte sich als Pfad hinab in das nun so vertraute Land der Traumkönigin. Völlig entsetzt tat er einige Schritte zurück.
Zeugen berichteten später, Gregor Berger sei aus unerfindlichen Gründen rückwärts in den Bus gelaufen, der ihn noch einige Meter mitschleifte. Er verstarb noch an der Unfallstelle.
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