von Jana, Lesezeit ca. 5 Min.
Ich stöhne innerlich auf als mir klar wird, dass die Ausstellung noch einen weiteren Raum umfasst. Gerald wird ihn sicher sehen wollen, doch mich langweilen die Ergüsse moderner Kunst bereits. Ein Bild mit einem roten Strich quer, ein Bild mit rotem Strich längs – warum habe ich mich überhaupt dazu überreden lassen?
Ich betrete den nächsten Raum und bleibe stehen. Direkt vor mir hängt es, kein Bild, eine Collage, aufgebaut auf einem Foto vom Meer. Sonnenstrahlen lassen die blassgraue Oberfläche glitzern. Das Licht so hell, dass es dem Ozean die Farbe raubt und ich die Augen abschirmen muss, weil es mich blendet. Ich habe die Füße im Wasser, angenehme Kühle gegen die Hitze. Das Meer ist besonders flach an dieser Stelle, das Wasser geht mir gerade so bis zu den Knöcheln.
Kinder spielen in meiner Nähe, veranstalten Wasserschlachten, drehen sich und hüpfen und kreischen so laut, dass es mir in den Ohren vibriert. Es könnte mich stören, doch stattdessen beneide ich sie. Langsam trete ich mit dem Fuß gegen das Wasser, spritze es nach links, nach rechts, dann stärker und noch stärker. Ich beginne mich im Kreis zu drehen, wieder und wieder und endlich tanze ich, ich tanze im Meer. Anfangs noch vorsichtig, mit angehaltenem Atem habe ich Angst, dass ich nicht hier bin, dass das alles nur ein Traum ist.
Doch der Widerstand gegen meine Füße und Beine ist echt, das Wasser nass auf meiner Haut, die Wärme der Sonne, das Kreischen der Kinder, alles ist echt. Ich lasse los. Ich tanze, drehe mich, springe, hüpfe, versuche jede Bewegung in jeder Faser meines Körpers zu spüren, während meine Seele singt: Ich tanze im Meer!
„´Weite` – was für ein kreativer Titel!“ Gerald ist neben mich getreten, räuspert sich, während er mit schräg geneigtem die Collage und die Beschreibung daneben studiert.
„Ja, ich fand die roten Linien auch besser“, sage ich.
Ich begreife, dass ich ihm nie vom Tanzen im Meer erzählen werde. Es ist der Anfang vom Ende.
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Tanzen ist ein wiederkehrendes Motiv in meinen Texten. Es werden sicher noch welche auf diesem Blog erscheinen. Einer ist schon da: Lies los!
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