von Jana, Lesezeit ca. 5 Min.

„Ich wollte immer hier raus“, sage ich und starre auf das viel zu vertraute Bild zugewachsener Gleise, halbverfallener Schuppen und einen schmutzig-roten Sonnenuntergang.

Die Schuppen waren schon so verfallen, als ich all das hier das erste Mal sah. Damals, als wir diesen, unseren Platz fanden, eine rissige Backsteintreppe, die wohl mal irgendwohin geführt hat, jetzt aber völlig isoliert in der Nähe der Gleise steht. „Stairway to Heaven“ hat Hape sie irgendwann mal getauft. Aber so oft wir sie auch ersteigen – sie führt uns nirgendwo anders hin, auch heute nicht. Wir bleiben hier und obwohl wir älter werden, ändern wir uns nicht. Wir sind wie diese Schuppen, die vor Jahren schon hätten einstürzen müssen, aber stattdessen in ihrem halbverfallenen Zustand der Zeit trotzen, als gäbe es irgendetwas zu beweisen.

„Und wo bin ich jetzt?“, frage ich niemand bestimmtes, aber natürlich fühlt sich Hape angesprochen, denn außer einer verirrten Maus und ein paar Vögeln ist er es, der diesen beschissenen Moment meines Daseins mit mir teilt. Und er lacht. Kein richtiges, lautes Lachen, mehr so ein Schnaufen neben mir. Ich bin empört, werfe ihm auch einen entsprechenden Blick, doch er schüttelt nur den Kopf.

„Alter, du bist 28, nicht 68 – jetzt piss dir mal nicht ins Hemd! Du kommst schon noch raus“, murmelt er. „Außerdem wohnst du nicht mehr bei deinen Eltern – das ist ein Anfang.“

„Aber ich wohne nicht mindestens 1.000 km von diesem Kaff entfernt – also wohne ich quasi noch bei meinen Eltern.“

„Das ist deine Interpretation…“

Ich seufze. „Scheiße Mann, mit 18 war ich sicher, dass ich um diese Zeit den halben Planeten gesehen habe!“

„Was hat dich gehindert?“, fragt Hape mich, doch er kennt die Antwort (sie ist weiblich und schön und hat jetzt einen anderen) und deswegen ist es eine rhetorische Frage.

„Was hindert dich jetzt?“, hakt er nach und natürlich hat der Recht, doch ich will dieses Thema nicht logisch angehen. Ich will einfach nur mit mir und der Welt unzufrieden sein, auch wenn das bedeutet, dass ich innerlich nicht 28 sondern eher 8 Jahre alt bin.

„Warum willst du nicht weg?“, frage ich stattdessen. Ich habe Hape immer in einem Jet-Set-Leben gesehen. Scheiße berühmt. Rockstar oder so. Weil er einfach nie in diese Welt gepasst hat, in diesen kleinen Ort vor der großen Stadt mit grauen Häusern und farblosen Meinungen mit der Tendenz zu braun.

Hape war der Junge, der verprügelt wurde, weil er ein Glitzer-T-Shirt trug und am nächsten Tag unbehelligt mit „Better gay than asshole“ durchkam, weil seine Feinde zu blöd waren, den Aufdruck zu verstehen.

Hape zuckt mit den Schultern. „Warum sollte ich?“

Ich weiß, dass er irgendetwas mit Musik macht. Irgendwie nebenbei. Er lebt seinen Traum – irgendwie – und trotzdem. „Na, weil hier… hier ist. Und nicht New York oder so…“

Hape lacht, diesmal wirklich. Ein lautes, helles Lachen. Er scheint gar nicht wieder aufhören zu wollen.

Dann kommt jemand, das vertraute Bild wird von einer Silhouette durchbrochen. Eine Person, die langsam auf uns zugeht, die Sonne im Rücken, ihre Gesicht verdunkelt. Ich erkenne sie nicht, aber Hape tut es. Er hört auf zu lachen, aber ein Lächeln bleibt in seinem Gesicht und es wird breiter je näher die Person auf uns zukommt.

„Mein New York ist hier“, sagt er dann, als wäre es das Einfachste der Welt.

Du kanntest Hape noch nicht? Hier ist noch eine Geschichte mit ihm: Lies los! Außerdem hat sich Hape von der Autorin interviewen lassen. Schau einfach mal auf Facebook bei uns vorbei!