Erinnert ihr euch noch an unser Adventsspiel? Damals haben wir 
5  Wörter vorgeschlagen, um daraus eine Geschichte zu basteln.
Marienkäfer, Petersilienhochzeit, Luftpolsterfolie, Massenmörder, Platzhalter
Eine mögliche Geschichte geht so:

von Jana, Lesezeit ca. 5 Minuten

Ihr Lieben, das ist keine Kindergeschichte, sie steht mit Absicht in der Kategorie „Mord und Totschlag“…

 

Er war ein Künstler, ja, das war er. Er hatte Respekt vor seinen Werken. Jedes einzelne hatte er mit Bedacht erschaffen, jedes Detail wohl überlegt. Sie alle erzählten eine Geschichte, ihre Geschichte. Er hatte sie beobachtet, tage-, wochen-, monatelang. Hatte sie begleitet, überall hin, ihren Geruch eingeatmet, während er neben ihnen in der Bahn mit zur Arbeit fuhr. Hatte gesehen, wie ihr Adamsapfel sich bewegte, wenn sie tranken, hatte das kurze Dehnen der Haut bewundert, als er am Tisch neben ihnen saß. Er hetzte mit ihnen durch die Straßen, wandte sich auf dem Fußweg ab, wenn sie sich noch einmal umdrehten, die Tür schon in der einen, den Schlüssel in der anderen Hand. Sie sollten sich sicher fühlen. Sie sollten sich wohlfühlen. Er kümmerte sich um seine Werke. Er studierte ihre Gewohnheiten, ihre Kleidung, ihre Gesten, ihre Mimik – er studierte alles, denn er wollte, dass sie sich präsentieren konnten so, wie sie waren. Nie hätte er gewagt, ihnen eine Geschichte aufzuzwingen. Sie sollten sie selbst sein, präpariert für die Ewigkeit. Er wickelte sie behutsam in die Luftpolsterfolie, damit sie nicht zerstört wurden, wenn er sie ablegte. Er nahm sich Zeit, wenn er sie endlich ausstellte. Sie sollten ihre beste Seite zeigen, wenn sie gefunden wurden.

´Massenmörder in der Stadt!`

Sie hatten keine Ahnung, diese Dummschwätzer. Solch ein Wort, eine Beschimpfung. Er war ein Künstler, ja, das war er. Er schlachtete nicht wahllos ab, er erschuf etwas neues, besseres. Seine Werke waren dafür da, diese Welt besser zu machen, zu einem schöneren Ort.

Und dann traf er sie. Sein Meisterwerk, ja, das würde sie sein. Feuerrotes Haar, Sommersprossen, große blaue Augen. Ihre Hände, so feingliedrig, so sanft, nie könnten sie jemandem Schmerzen zufügen. Sie tanzte, wenn sie die Straße entlang ging, flatterte beinahe, ihre Hüfte immer in Bewegung, ihre Hände in Bewegung, wenn sie ihrer Freundin im Café etwas erzählte.

Sie roch nach wilden Rosen nach einem Sommerregen und sie lächelte ihn an, als sie sich in der Bahn zu ihm wandte. Sie lächelte. Ihn. An! Ihre Lippen würden weich auf seinen sein, sie würde nach Erdbeeren schmecken. Oh, wenn er diesen Geschmack doch nur bewahren konnte, aber er verflüchtigte sich. So schnell. Auch bei ihr. Sie hatte drei Leberflecke, klein, unscheinbar, genau über ihrem rechten Mundwinkel. Sie fielen kaum auf, doch er hatte sie gesehen. Er sah alles.

„Mein Marienkäfer“, flüsterte er. Und er probierte den Namen aus, wenn er nachts wach lag.

Nach ihr war nichts mehr wie bisher. Er hatte sein Meisterwerk vollbracht, die nachkamen waren nur noch Kopien, billige Platzhalter für die eine. Er begriff es erst jetzt. Dass er sein Leben lang auf sie gewartet, auf sie hingearbeitet hatte. Und nun war sie fort, ausgestellt, von anderen begafft und analysiert. Er hatte sie verloren. Er hatte sie verraten. Nichts würde mehr so sein wie bisher.

Er wurde nachlässig. Er beobachtete nicht mehr so genau. Er blieb stehen, wenn sie sich an der Tür umwandten. Und dann passierte es.

„Monster endlich gefasst! Tötete seine eigene Frau nach über 12 Jahren Ehe! So machte die Petersilienhochzeit aus einem Ehemann einen Massenmörder!“

Sie waren noch immer Dummköpfe. Gruben in seiner Vergangenheit. Holten etwas hervor, eine Feier, einen Unfall, einen Tod. Sie hatten keine Ahnung. Sie war es nicht gewesen. Sie war nicht die gewesen, die sein Leben bestimmt hatte.

„Mein Marienkäfer!“ Ganz sicher flatterte sie noch immer, tanzte über die Straßen, ihr Duft nach wilden Rosen wie eine Spur für ihn ausgelegt.

„Ich komme zu dir“, flüsterte er, während er aus zerrissenen Bettlaken eine Schlinge bastelte.


Die gleichen 5 Wörter, aber eine ganz andere Geschichte?
Dann lest Carmens „Familienabend“.