Erinnert ihr euch noch an unser Adventsspiel? Damals haben wir
5 Wörter vorgeschlagen, um daraus eine Geschichte zu basteln.
Marienkäfer, Petersilienhochzeit, Luftpolsterfolie, Massenmörder, Platzhalter
Eine mögliche Geschichte geht so:
von Carmen, Lesezeit <5min
„Sie ist nichts weiter als ein kleiner Terrorist!“ Es glänzte verräterisch in den Augen der jungen Frau, als sie den Kopf von der Grußkarte hob und in Richtung Kinderzimmer blickte. Von dort war nach einer sehr kurzen, sehr trügerischen Stille neues, ohrenbetäubendes Geschrei zu hören.
„Nana, so kannst du sie doch nicht nennen!“ Ihr ebenso junger Ehemann versuchte es in beschwichtigendem Tonfall, obwohl man ihn bei diesem Lärm fast überhörte.
„Warum denn nicht??? Immer, immer, immer schreit sie. Sie hat keinen Hunger, sie ist nicht krank, sie liegt trocken und warm. Sie weint, wenn ich sie halte, sie weint, wenn du sie hältst, sie weint im Bettchen. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal geschlafen habe. Ich schaffe es nicht einmal mehr, einen Text für Sylvias und Hennings Petersilienhochzeit zu schreiben.“ Nun waren die Tränen in ihren Augen deutlich zu erkennen. „ICH DARF SIE TERRORISTIN NENNEN, WENN ICH DAS WILL!“
Die junge Frau schloss kurz die Augen, atmete tief durch: „Ich bin doch ihre Mutter. Wir haben alles genauso gemacht, wie der Arzt es gesagt hat. Wie es hier steht“, sie deutete auf ein Buch, das aufgeklappt, mit den Seiten nach unten, auf dem Couchtisch lag, „trotzdem hört sie nie auf, zu weinen.“
„Schon gut, schon gut. Ich meine nur, du kannst sie doch heutzutage nicht Terroristin nennen! Was sollen denn die Leute denken, die das mitbekommen.“ Hilflos versuchte er seiner Frau etwas zu erklären, das Müdigkeit und Lärmpegel unerklärbar machten.
„Wie soll ich sie denn dann nennen??? Massenmörderin?!? Sie ermordet meine Nerven. Haufenweise.“ Was als Scherz gedacht war, führte nur dazu, dass nun endgültig alle Dämme brachen und die junge Frau ebenfalls weinte. Wenn auch leiser als ihre Tochter.
In Anbetracht der Lautstärke seines Kindes verzichtete der Vater darauf, etwas zu erwidern. Er erhob sich vom Sofa und berührte seine Frau beruhigend an der Schulter und schaute neugierig auf die mit Luftballons dekorierte Grußkarte auf ihrem Schoß. „Lorem ipsum sit amet“ war in dünner Bleistiftschrift darauf zu lesen. Darunter zwei rote Marienkäfer auf einem Petersilienbüschel gemalt und in Schönschrift „Alles Liebe zur 12einhalb wünscht Familie Nickels“. Fragend zog er eine Augenbraue hoch.
„Mir fällt nichts ein, daher arbeite ich mit Platzhalter. Wie im Büro. Ich glaube, mein Unterbewusstsein will mich zur Entspannung wieder zur Arbeit schicken.“ Wieder versuchte sie ein Lächeln zustande zu bringen. Es brach ihm fast das Herz.
Kurz drückte er die Schulter seiner Frau. Vielleicht war es unterstützend gemeint oder beruhigend. Vielleicht hätte man es auch als „Ich habe so wenig Ahnung wie du“ interpretieren können.
Dann verschwand er seufzend ins Nebenzimmer, um nach dem Baby zu sehen.
Kurze Zeit später erschien der junge Vater wieder im Wohnzimmer, die kleine Xenia weinend auf dem Arm. In sanftem Tonfall mit einem Lächeln auf den Lippen wiegte er das kleine Bündel in seinen Armen, indem er in ruhigem Rhythmus von einem Fuß auf den anderen trat:
„Na du kleiner Terrorist… pschschscht…Jaa, ein kleiner Terrorist bist du, jaa.“
Die kleine Xenia schaute ihren Vater neugierig an und vergaß kurz, zu weinen. Dann passierten mehrere Dinge gleichzeitig.
Verwundert, fast hoffnungsvoll, blickte die Mutter von der Glückwunschkarte hoch in Richtung der ungewohnten Stille. Von draußen drangen auf einmal das lange vergessene Hupen und Rauschen des Straßenverkehrs hinein. Und der Vater, seinerseits, übermüdet und überfordert von den alten Bekannten in seinen Ohren, die dort nur sein konnten, weil etwas anderes fehlte, war selbst so verwirrt, dass er zur Orientierung stehen blieb und vergaß, weiterzusprechen.
Ein Fehler.
Innerhalb weniger Sekunden war wieder alles beim Alten.
„Luftpolsterfolie!“, rief seine Frau plötzlich. Triumph spiegelte in ihren Augen.
„Luftpolsterfolie?“, fragte ihr Mann.
„Jaja, diese Plastikböbbel, die man mit den Fingern zerdrücken kann. Jeder LIEBT es, die zum Platzen zu bringen. Die Vase, die wir gestern geliefert bekommen haben, da war welche dabei. Damit können wir Xenia beruhigen.“
Nun war es am jungen Vater, die Tränen zurückhalten zu müssen. Wie sollte er seiner Frau erklären, dass ihre brillante Idee zum Scheitern verurteilt war? Vielleicht würde Xenia aufhören zu weinen, wenn sie das beruhigende Ploppen der Bläschen hörte. Als die Tochter von ihnen beiden würde sie das sogar mit ziemlicher Sicherheit, ansonsten würde er ernsthaft die Elternschaft seiner Frau und von sich selbst in Frage stellen. Doch heute würden sie das nicht mehr herausfinden. Die Luftpolsterfolie war bereits platt. Das letzte Luftbläschen zerdrückte er gestern mit großer Genugtuung vor dem Fernsehgerät, während seine Frau mit der kleinen Terroristin zur Beruhigung ein paar Runden im Auto drehte.
Die gleichen 5 Wörter, aber eine ganz andere Geschichte erzählt Jana in
„Der Duft von wilden Rosen“.
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