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von Jana, Lesezeit ca. 3 Minuten

„Wo bist du?“, frage ich. Durch das Telefon klingt es, als würde Martin inmitten eines Wasserfalls stehen. Ich kann ihn kaum verstehen, nur Rauschen, unglaublich laut, unglaublich nah, obwohl mindestens dreihundert Kilometer zwischen uns liegen. Vorausgesetzt, ich habe seinen Reiseplan richtig im Kopf. Wenn dieser Reiseplan überhaupt noch so stimmt, immerhin ist schon Woche fünf seiner Rucksacktour.
„Am Triberger Wasserfall“, sagt er auch tatsächlich, brüllt es eher, seine Stimme klingt verzerrt und fremd und doch so nach Martin. Begeisterung schwingt mit, ich kann ihn vor mir sehen, strahlend das fallende Wasser bestaunend, während in seinem Kopf auf ganz ähnliche Weise eine Millionen Gedanken durcheinander purzeln. Ein vollgepackter Krimskramsladen, in dem man alles, wirklich alles findet, nur nicht das, was man gerade sucht.
Martin redet von Farben und Vögeln, einem Käsesandwich, Fotografie, roten Boxershorts und einem Fahrrad. Ich verstehe nur Bruchstücke, es ist einfach viel zu laut und es würde wohl Sinn machen aufzulegen, aber ich höre ihm so gerne zu. Ich spüre das Lächeln um meine Lippen, das erste Lächeln seit langem.
„Wie geht´s dir?“, fragt er irgendwann, vielleicht fünf, vielleicht fünfzig Minuten später und ich bekomme kein Wort heraus. „Wolltest du etwas bestimmtes?“ Die Frage ist gestellt, steht zwischen uns, sperrig und schwer und noch immer fehlen mir die Worte.
„Ich komme zu dir“, sagt er irgendwann, eine Feststellung, einfach so.
„Danke“, ist alles, was mir über die Lippen kommt.
Er hört jetzt nicht auf zu reden. Das Rauschen im Hintergrund wird nach und nach leiser, seine Stimme lauter, klarer, wärmer, während er mir von tausend Dingen erzählt, Beobachtungen am Wegesrand.
„Ich bin bald bei dir!“, schließt er. Ich höre die Autotür zuschlagen und dann ist er weg, nur für eine Weile, die ich aushalten kann. Ich lege den Hörer zu Seite, lasse mich auf das Sofa fallen.
Und endlich, zum ersten Mal seit der Nachricht, erlaube ich mir zu weinen.

Aufwärm-Schreibübung zum titelgebenden Stichwort