von Jana, Lesezeit ca. 5 Minuten
Ich stehe am Meer und sofort überkommt mich eine Ruhe, kalter Sand unter meinen Füßen, körnig, kühl, beruhigend. Salzige Luft, Atmen, so viel freier atmen und dann Weite. Blaue Weite, Wasser bis zum Horizont. Die Sonne blendet ein bisschen, der Wind zerrt an meinen Haaren, Möwen kreischen, die Brandung rauscht. Noch ein Schritt und meine Zehen würden das eiskalte Wasser berühren, aber ich stehe einfach nur da. Mein Kopf ist ganz ausnahmsweise einmal still, überwältigt von dem Vielen, dem Allen, dem Nichts, da so direkt vor meiner Nase. Meer, Wasser, blau, stopp. Denn sonst ist da nichts bis zur Linie am Horizont, nicht mal ein Boot oder eine Boje oder ein Trottel, der bei gefühlten -15 Grad schwimmen geht (das Wasser, nicht die Luft). Sondern nur blau in verschiedenen Schattierungen und endlich verstehe ich, was die Achtsamkeitstrainer meinen, wenn sie sagen „Du musst einfach nur sein.“. Der Wind und die unglaubliche Weite nehmen die störenden Gedanken in meinem Kopf mit auf die Reise und ich darf hier bleiben mit diesem Blick und der Sehnsucht, was da wohl hinterm Horizont auf mich warten könnte. Das Lied von Rio kommt mir in den Sinn „Ach, wär ich doch jetzt auch dabei. Weit, weit, hinterm Horizont, wenn unbekannte Länder zu entdecken sind.“. Doch ich weiß, mir reicht die Sehnsucht, ich möchte gar nicht auf das Schiff, ich möchte nur hier sein und sein dürfen.
Das Meer war schon immer mein Freund. Ich mag kein Wasser per se, aber das Meer, die Versprechungen, die es mir macht, die haben mich schon immer gepackt. Das Meer versteht mich, die grollenden wütenden Wellen, die rücksichtslos an den Strand schlagen; das unendliche Nichts bis zum Horizont. Stillstand und Aufruhr, Leben und Tod, Nähe und Ferne, überall und nirgendwo – das Meer ist nicht nur eine Sache, es kann sich nicht entscheiden, aber niemand käme auf die Idee, ihm das vorzuwerfen.
Am Meer habe ich die großen Veränderungen in meinem Leben überwunden. Loslassen geht am besten, wenn dir klar wird, dass du selbst so klein und unbedeutend bist, dass du im Großen und Ganzen keine Rolle spielst. Dass deine Entscheidung letztendlich für dich selbst die größte Bedeutung hat und du sie deshalb nur für dich selbst und niemand anderen triffst. Es hilft.
Ich stehe am Meer und diesmal ist der Sand heiß unter meinen Füßen, die Sonne brennt auf meine Haut. Irgendwo spielen Kinder, schreien, toben, planschen.
Jemand ist gestorben letztes Jahr, seine Asche wurde dem Meer übergeben. Überall und nirgendwo. Ich kann nicht atmen, kann nicht denken, das Wasser umspielt meine Füße, ich glaube, es ist angenehm kühl. Ich starre auf die Weite, warte, dass sie mir den Schmerz abnimmt, so wie immer.
Das Meer ist mein Kummerkasten. Gut, dass es so groß ist.
P.S.: Noch eine Reise zu einem Sehnsuchtsort gefällig? Dann schaut in diesen Text von Carmen.
P.P.S.: „Meer“ wurde (etwas angepasst) im Rahmen der Anthologie zum 6. Bubenreuther Literaturwettbewerb veröffentlicht.
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