von Jana, Lesezeit ca. 5 Minuten
Entstanden Ende März 2021, 6. und letzter Teil der „Morgens vor / während Corona“-Reihe. Alle Vorgänger findet Ihr ab hier.
„Überleben allein ist nicht ausreichend.“
Dieser Satz ist aus Star Trek. Zumindest laut dem Buch, durch das er sich als roter Faden windet und das sie mal gelesen hat und sehr mochte. Darin ging es um das Leben eben jener Überlebender, etwa zwanzig Jahre nach dem ein Virus etwa 90 Prozent der Menschheit ausgerottet hatte.
„Überleben allein ist nicht ausreichend.“
Sie muss in letzter Zeit oft an diesen Satz denken. Eigentlich das ganze letzte Jahr. Ein Jahr hält er schon an, der Ausnahmezustand. Das Warten auf „wenn es erstmal vorbei ist“. „Es“ ist das Virus, das Abstand halten, das „Nichts geht“. Bei ihr selbst ging auch eine ganze Weile nichts mehr. Seit etwa vier Wochen hat sie wieder einen Alltag, zumindest im Versuchsstadium. Im Büro hat sich vieles verändert (nein, der Bus ist immer noch oder schon wieder zu voll, aber ehrlich, das hatten wir doch schon ausführlich), Kollegen sieht man nur noch über Bildschirme und auf den Gängen begegnet man sich mit Maske. Vieles geht jetzt elektronisch, das, was früher nie und nimmer elektronisch gegangen wäre, denn bitte, wir sind eine Behörde und das haben wir schon immer… – „Schon immer“ wurde aussortiert und sie gewöhnt sich überraschend schnell daran. Ist mega stolz auf die erste geglückte Webkonferenz. (Davor hat sie sich kurz zu alt für diese neue Zeit gefühlt und sich geschworen, nie wieder die Augen zu verdrehen, wenn ihre Mutter sie um Tipps für die Bedienung ihres Smartphones bittet.)
Also Alltag. Und das Drumherum. Denn das Drumherum, das hat sie gelernt, das hilft gegen den Überlebensmodus. Der Modus, in dem es nur noch ums Funktionieren geht. So lange bis nichts mehr funktioniert, nichts mehr geht, genau wie im Draußen. Im Draußen ist das scheiße, denn wenn nichts geht, geht mehr und mehr verloren. Gaststätten, Theater, Kunst, Kultur – nur ein kleiner Ausschnitt von dem, was vor unseren Augen stirbt. Im Inneren läuft das ganz ähnlich ab, alles verschwindet, die Begeisterung, die Freude, der Genuss, alles wird grau und still und sinnlos und dann… „Überleben allein ist nicht ausreichend.“
Wie wenig spürt sie erst, seit sie wieder lebt. Seit alles wieder Farbe gewonnen hat. Seit ihre Kreativität wieder Funken sprüht. Seit sie wieder lachen und schreiben und malen und Geschichten träumen kann. Diese Fantasiewelt in ihrem Kopf neu entdecken kann, wie die Enterprise die unendlichen Weiten des Weltraums. (Ja, Star Trek kann sie auch wieder schauen. Das konnte sie nicht mehr. Die Konzentrationsspanne hatte einfach nicht…)
Überleben. Leben. Und nun der nächste Lockdown. Wieder alles runterfahren. Das Überleben sichern, denn die Wahrheit ist auch: Leben ohne Überleben ist nicht möglich. Der Virus ist mittlerweile auch in ihrer Familie angekommen und leider mit dem schlechtmöglichsten Ausgang.
Leben und Überleben. Das eine geht nicht ohne das andere. Das andere wird unerträglich ohne das eine. „Life`s that way“ lautet der Titel eines anderen Buches, das sie sehr gemocht hat. In diesem ging es um das Weiterleben nach einem Verlust. Wir alle verlieren im Leben. Etwas oder jemanden. Wir verlieren, lassen fallen, werfen weg, stürzen – und dann stehen wir wieder auf. „Life`s that way.“ Vergessen wir vor lauter Überleben nicht das Leben. Denn – und nun muss noch ein Filmtitel herhalten, damit es ausgeglichen ist – „Das Leben ist schön“. Und das kann sie wirklich nur unterstreichen.
Erwähnte Bücher: „Das Licht der letzten Tage“ von Emily St. John Mandel; „Life`s that way“ von Jim Beaver
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