von Jana, Lesezeit ca. 3 Minuten

Als Kind bin ich oft verloren gegangen – in meinem eigenen Kopf. Ständig war ich in einem anderen Leben, hatte dort viele Geschwister, mit denen ich gespielt und gestritten habe. Es gab in diesem anderen Leben komplizierte Regeln, die man keinesfalls brechen durfte – oder auch einem Außenstehenden verraten – sonst wären furchtbare Dinge passiert.

Mein „echtes“ Leben kam mir recht langweilig vor, deswegen brauchte ich Geschichten – gruselige, lustige, ganz egal. Am liebsten wäre ich ein Waisenkind gewesen, dem Schreckliches widerfahren war, aber alles hätte ich tapfer überstanden. Ich wäre trotzdem gut und rechtschaffen geworden. Ich wollte so gerne im Internat leben, weg von meinen Eltern, das echte, spannende Leben leben. Im Sommer war ich ein Bauernmädchen, unser riesiger Garten war meine Alm. In diesem Sommer entdeckte ich auch die Lücke im Zaun, die mich ungesehen vom Grundstück gebracht hätte – doch ich nutzte sie nie. Kletterte nur hinaus und gleich wieder hinein – wohin hätte ich auch gehen sollen? Die wirkliche Weite war schon immer in meinem Kopf gewesen. Träumen und fliegen konnte und kann ich auf engstem Raum. Was interessiert mich die Realität? Sie ist nur eine mögliche Form der Welt und selten die spannendere.

Mittlerweile habe ich Angst, die Realität allzu oft zu verlassen. Denn als Erwachsene stellt sie gewisse Aufgaben an mich, die mir niemand abnehmen kann. Also fliege ich im Schreiben? Oh, welch schöner Abschluss, schöner Trost, aber sind wir doch mal ehrlich: Im Schreiben ist kein Zauberland, da ist nie genug Weltflucht.