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Schlagwort: Dialog

Das Schmuckstück (Teil 1)

von Carmen, Lesezeit um 5 Minuten

„Sei so lieb und gib uns nochmal drei Doppelte, Betty.“
„Gibt es denn etwas zu feiern, Jakob?“, Betty wischte kurz mit dem Lappen über den Tresen, bevor sie drei Gläser mit einer goldenen Flüssigkeit vor Jakob abstellte.
„Ich bin Vater geworden! Ein Junge! Ein gesunder kleiner Junge.“ Die Freude, aber auch die Erleichterung, war dem jungen Mann anzusehen. „Nach dieser Runde muss ich dann auch wieder weg. Helene wartet schon. Es war keine einfache Geburt, ich will bei ihr sein, wenn sie wieder aufwacht. Hier. Der Rest ist für dich.“
Überrascht nahm Betty das großzügige Trinkgeld an.
Sie genoss den heutigen Abend in ihrer Bar, in ihrem Schmuckstück.

Nach langen Monaten der Renovierung war heute Neueröffnung und sie hatte den perfekten Abend geplant. Sogar ihre ehemalige Aushilfe, der 16-jährige Hans, hatte sich bereit erklärt, einzuspringen, damit alles reibungslos verlief. Betty hatte viel Herzblut in den Umbau gesteckt. Alles, was sie selbst erledigen konnte, hatte sie auch selbst getan. Nur das Nötigste wurde an Handwerker outgesourct. Sogar das kleine Fenster, das mit Buntglas eine Szene des römischen Gottes Bacchus darstellte, hatte sie eigenhändig eingebaut. Es war das einzige Fenster der Bar, was Betty eigentlich ganz gut fand – dadurch konnte kein Licht der Straße die schön schwummerige Atmosphäre im Raum zerstören. Die Holztische waren alle einzigartig – auf Flohmärkten zusammengetragen, genauso wie die Stühle. Keiner sah aus, wie der andere – einige robuster, an anderen blätterte bereits die Farbe ab, manche hatten drei Beine, es gab Hocker ohne Rückenlehne. Das verlieh ihrer Bar einen besonderen, heimeligen Charme.
Auch an der Getränkekarte hatte sie lange gefeilt, bis sie zufrieden war.

Ganz besonders hatte sie sich über die überwältigende Rückmeldung ihrer Gäste gefreut, alles lieb gewonnene Stammgäste:
Hier war Jakob, seit Jahren ein treuer Gast. Betty hatte um die schwierige Schwangerschaft seiner Frau Helene gewusst und war froh, dass alles gut ausgegangen war. Dort, in der hinteren Ecke, war die Mädelsrunde, die sich vor der Renovierung immer dienstagabends nach der Arbeit getroffen hatte, und probierte sich durch die neue Cocktailauswahl.

Pünktlich um halb neun ging die schwere Eisentür des Schmuckstücks auf und Susanne und Gerald traten ein, ein Paar mittlerweile um die 45. Wie immer betrat Susanne die Bar zuerst, elegant in einen Pelzmantel gekleidet mit passenden, braunen Pumps. Sie blickte sich kurz um und steuerte den einzig freien Tisch in der Nähe des Eingangs an. Gerald, der Gentleman, hatte ihr wie üblich die Tür aufgehalten und beeilte sich, ihr zum Tisch zu folgen, um ihr dort den Mantel abnehmen und den Stuhl zurecht zu schieben.

„Schön, dass ihr gekommen seid“, begrüßte Betty sie, als sie die Kerze am Tisch anzündete, „wie immer?“
„Ja, gerne. Vielen Dank für die Einladung“, entgegnete Susanne, während sie den Burberry-Schal auszog und ihn säuberlich neben sich hinlegte. „Wir freuen uns sehr auf den Abend.“
„Ein Aperol-Spritz, ein Weißbier!“, rief Betty Hans über die Schulter zu.
Doch gerade, als sich Betty umdrehte, stieß sie mit Hans zusammen, der das „wie immer“ bereits in dem Moment zubereitet hatte, in dem Susanne und Gerald in der Tür erschienen waren. Beide Gläser fielen mit lautem Klirren zu Boden. Betty verlor das Gleichgewicht und stützte sich am wackeligen Holztisch ab, wodurch die Kerze gefährlich ins Schwanken geriet und … kippte. Auf den ordentlich gefalteten Burberry-Schal. Der fing sofort an, wie Zunder zu brennen.

Brennender Tisch
Photo by Claus Grünstäudl on Unsplash

Erschrocken sprang Susanne nach hinten und stieß dadurch sowohl Tisch als auch Holzstuhl um.
„Du Tollpatsch, kannst du nicht aufpassen?!“, herrschte Betty den erstarrten Hans an, selbst komplett überfordert. Gerald ergriff die Initiative und versuchte, den brennenden Schal auszutreten. Doch das Feuer war schon zu groß und fand in dem alten, trockenen Tisch und dem dürren Stuhl ein gefundenes Fressen. In Sekunden loderte es so hoch, dass den Vieren der Weg zur Eingangstür abgeschnitten war.

Mittlerweile war das Feuer bei den anderen Gästen nicht unbemerkt geblieben – doch auch die hatten keine Möglichkeiten mehr, zur Tür zu gelangen. Die Leute fingen an, durcheinander zu rufen.
„Wo ist der Feuerlöscher?“, schrie jemand. Betty lief es eiskalt den Rücken hinunter: den hatte sie bei den ganzen Vorbereitungen komplett vergessen. Einen Feuerlöscher gab es nicht.
„Wir müssen hier raus!“
„Helene, der kleine Tobi, oh Gott, der kleine Tobi wird nie erfahren, wer ich bin. Ich will raus, Helene, ich will raus.“
„Zum Fenster!“

Susanne erreichte das Fenster zuerst und fing an, wie wild daran zu zerren.
„Es öffnet nach außen, du musst es nach außen hin öffnen!“, schrie Gerald, während er sie gleichzeitig wegstieß. Susanne stürzte zu Boden und schrie auf, doch Gerald ignorierte sie. Der Rauch wurde immer dichter. Bettys Augen tränten, der Hals kratzte unerträglich.
„Das Fenster klemmt. Ich. Kann. Es. Nicht. Öffnen.“, keuchte Gerald.
„Spinnst du?! Du darfst auf keinen Fall das Fenster öffnen, wenn es brennt. Das weiß jedes Kind.“ Eine der Frauen aus der Mädelsrunde versuchte, Gerald wegzuziehen. Doch Gerald schob wie mühelos von sich: „Siehst du einen anderen Ausweg? Nein??? Du kannst gerne hier drin bleiben, aber ich gehe. Wenn. Es. Nur. Endlich. Aufginge!“ Damit lehnte er sich mit aller Kraft gegen das Fenster, das sich keinen Millimeter bewegte.
„Dann zerschlag es, du Idiot! Jetzt mach schon!“ Ein großgewachsener Mann aus Jakobs Freundeskreis zerrte Gerald vom Fenster weg, während Jakob mittlerweile apathisch an der Wand zusammengesackt war.
„Mein Sohn, mein kleiner süßer Tobi.“ Betty ahnte die Tränen auf seinen Wangen mehr, als sie sie noch sehen konnte.
Hinter sich hörte Betty ein metallenes Scheppern und schweres Keuchen. Ein Klirren lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorn. Bacchus war in tausend Stücke zersprungen.
Mit einem Ruck hievte sich der Hüne nach oben und versuchte, dem beißenden Qualm zu entkommen. Tief atmete er ein, während er versuchte, seinen massigen Körper durch die enge Öffnung zu ziehen.

„Oh Gott, helft mir. Ich stecke fest!“

Hier geht es zu Teil 2 der Geschichte. Lies los!

Hallo Freiheit!

von Jana, Lesezeit > 5 Min.

„Ja bitte?“

„Ja hallo? Ist da die Freiheit?“

„Mmh…“

„Ja, also wissen Sie, ich soll über Sie schreiben und da dachte ich…“

„Tun Sie`s nicht!“

„Äh… wie bitte?“

„Schreiben! Schreiben Sie nicht über mich!“

„Aber warum denn nicht?“

„Weil über mich schon so viel geschrieben wurde und die Hälfte davon ist Blödsinn und ich habe wirklich keine Lust mehr, diesen ganzen Quatsch immer zu lesen!“

„Ja, aber… na ja, deswegen rufe ich ja an, ich dachte, Sie könnten mir erzählen, wie Sie das so sehen. Also, was Sie für wichtig erachten. An sich selbst, meine ich.“

„Pah! Das haben die anderen auch immer behauptet. Und mich in den Himmel gelobt, wie wichtig ich doch sei für den Menschen und die Gesellschaft. Die Retterin der Unterdrückten, die Sprengerin der Ketten – lassen Sie mich in Ruhe! Probieren Sie es bei der Hoffnung – obwohl, die ist wahrscheinlich zu beschäftigt, der Hass neuerdings ja auch. Vielleicht hilft Ihnen der Glauben weiter. Der hat zwar auch viel zu tun, aber der debattiert zu gerne.“

„Nein, ich möchte Sie. Sehen Sie sich doch nur mal die Nachrichten an. Hongkong, Syrien, Mittelmeer – ich glaube, die Freiheit ist wichtiger denn je, verstehen Sie?“

„Die Freiheit von was?“

„Na, von Menschen. Dass Menschen in Freiheit leben können, reisen können, ihren Beruf frei wählen, ihr Denken, ihren Glauben.“

„Tja, aber wenn Mensch A seine Freiheit hat, behauptet B, dass seine dadurch eingeschränkt wird. Den Knoten können Sie nicht lösen.“

„Aber ist das denn so? Wie definieren Sie denn Freiheit?“

„Wie ich mich selbst definiere?“

„Ja, genau.“

„Ist das Ihr Ernst? Hören Sie, ich habe eine sehr genaue Vorstellung davon, was Freiheit ist und sein sollte, aber ich bezweifle sehr stark, dass Sie die hören wollen, Sie Sozialromantikerin! Freies Leben, freies Reisen und wahrscheinlich auch noch ein freies Bildungssystem, nein, ganz sicher nicht! Sie verklären mich zu irgendetwas, was die Welt retten soll, Frieden und Freiheit für alle, aber dabei vergessen Sie, dass die Menschen zwar alle laut nach mir schreien, wenn sie mich aber haben, absolut nichts mit mir anfangen können.

Die Freiheit zu leben wird ganz schnell die Freiheit zu herrschen, zu beherrschen und schon ist die Freiheit dahin. Freiheit kann sich nie über das Außen definieren. Wenn Sie Freiheit in Dingen oder Umständen suchen, dann suchen sie falsch – allerdings sind sie dabei immerhin nicht allein.“

„[…]“

„Sind Sie noch dran?“

„Ja, ich… Entschuldigung, was kam nochmal nach „zu tun und zu lassen“?“

„Mmhpf!“

„Wissen Sie, dieser Text ist wirklich wichtig für mich. Nicht nur wegen dem Kurs und so, sondern auch, na ja, Freiheit, das ist für mich mehr als eine Sehnsucht nach irgendetwas. Es ist dieses Gefühl, verstehen Sie? Dieses Gefühl, dass da noch mehr ist in dieser Welt. Dass all die Konventionen und Regeln, die mein Leben bestimmen, einfach nur ein Schleier sind über dem wahren Leben. Und wenn ich diesen Schleier zerreiße, dann.. ja, dann bin ich angekommen. Wissen Sie, ich dachte immer, das kommt, wenn ich mal erwachsen bin und mein Leben lebe. Aber jetzt bin ich erwachsen und..“

„Lassen Sie mich raten, Sie haben als junges Mädchen zu Westernhagens „Freiheit“ um den Plattenspieler getanzt?“

„Zu „Keine Macht für Niemand“ auch.“

Ein Seufzen. „Na gut, ausnahmsweise. Ich verrate Ihnen jetzt ein Geheimnis und Sie entscheiden selbst, ob Sie darüber schreiben oder nicht, in Ordnung?“

„In Ordnung!“

„Dieser Schleier, den Sie zerreißen wollen, der ist nicht vor Ihrer Nase, der ist in Ihnen drin. Sie könnten allen Konventionen entfliehen. Alle Regeln und Verpflichtungen hinter sich lassen. Sie könnten mit einem VW-Bus in die Wildnis fahren, und dort mit Eichhörnchen eine WG gründen, Sie würden diesen Schleier mitnehmen. Sie würden unfrei sein in dieser Freiheit. Freiheit finden Sie nur an einem Ort und das ist Ihr Kopf!“

„Mein Kopf?“

„Ihr Kopf! Und vielleicht noch ein bisschen in Ihrem Bauch und Ihrer Seele, je nachdem, wie ganzheitlich Sie diesen Mist betrachten wollen. Aber sie ist definitiv nicht da draußen und Sie finden sie definitiv nicht am Telefon.“

„Oh, aber… ich spreche doch mit Ihnen, oder?“

„Schätzchen, wenn ich die Freiheit wäre (und ich sage nicht, dass ich es nicht bin), dann hätte ich wohl die Freiheit, zu behaupten, dass ich bin, wer immer ich gerne sein möchte, nicht wahr?“

„Ähm…“

„Viel Glück mit Ihrem Text! Apropos, das Glück! Das sollten Sie unbedingt auch mal anrufen, hat sich aber schon wieder rar gemacht, so eine verdammt flüchtige Angelegenheit, na ja…“

Eine Schreibübung zur Personifikation abstrakter Begriffe

Explosion über den Wolken

von Carmen

Ob das da draußen die Freiheit bedeutet? Dieses endlose Blau, wohin das Auge blickt. Er spürte diesen Drang in sich, sich einfach fallen zu lassen, diese Freiheit zu spüren, den Wind, die Kälte, die Einsamkeit. Nichts und niemanden, soweit das Auge reicht. Genau so stellte er sich wahre Freiheit vor.

Gedankenverloren blickte er zum kleinen, ovalen Bullauge hinaus, als ihm jemand auf die Schulter tippte. Neben ihm saß eine junge Frau, ungefähr in seinem Alter und blickte ihn fragend an.

„Was?“ Unwillig löste er seinen Blick vom Fenster.
Sie deutete lächelnd auf die Ohren und ihm fiel auf, dass er immer noch seine Ohrstöpsel trug, obwohl schon längst keine Musik mehr lief. Er zog den linken aus dem Ohr:
„Ja?“
„Ob. Du. Auch. Zur. Oldtimermesse. Unterwegs. Bist?“, fragte sie, dabei jedes Wort einzeln betonend, um sich gegen den Motorenlärm durchzusetzen.
Er schaute sie verwirrt an.
„Ich heiße übrigens Marie.“ Strahlend hielt sie ihm ihre rechte Hand entgegen, was aufgrund der engen Sitzreihe eine doch umständliche Bewegung war. Dabei streifte ihre Hand wie zufällig seinen Oberschenkel.
„Alex“, brummte er. Kurz ergriff er ihre Hand. Sehnsüchtig suchte sein Blick wieder das Fenster.
„Und?“
Alex wandte sich wieder Marie zu: „Wie bitte?“
„Die Oldtimer-Messe in Cork. Ob du auch dahin fliegst. Vielleicht hast du Lust, zusammen hinzugehen?“ Langsam strich sich Marie eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr, während sie Alex nicht aus den Augen ließ.
Alex rutschte auf seinem Sitz hin und her und versuchte, etwas mehr Distanz zwischen sich und seine Sitznachbarin zu bringen.
„Äh…nein, ich kenne keine Oldtimer…Dingens.“
„Messe“, korrigierte sie, „ich könnte sie dir zeigen. Morgen hätte ich Zeit.“ Sie schaute ihn immer noch unverwandt an.
Alex gab den Versuch auf, sich in dieser Enge von ihr wegzubewegen. Am Rücken spürte er die Wand mit dem Bullauge, während sein linkes Knie jetzt irgendwie gegen Maries Knie berührte.
„Morgen hab‘ ich was vor.“ Alex zog sein Bein weiter Richtung Wand.
„Macht nichts, die Messe ist sowieso die ganze Woche und mittwochs ist eh der BESTE Tag. Die ALLER-besten Shows, Feuerwerk, sogar ein Rennen der neuesten Elektro-Autos. Glaub mir, ich bin jedes Jahr da. Das wird super, ich zeige dir dann auch diesen einen Stand mit diesem GENIALEN indischen Curry. Das musst du einfach probieren. Das Lamm zergeht dir auf der Zunge.“ Dabei fuhr sich Marie wie in Zeitlupe mit der Zunge über ihre Oberlippe.

So langsam ging Marie Alex auf die Nerven. Er wollte seine Ruhe, mit niemandem reden, einfach nur seinen Gedanken nachgehen. Zudem meldete sich nun auch noch seine Blase. So unangenehm ihm diese engen Klos in Flugzeugen auch waren, diesmal war er seiner schwachen Blase richtig dankbar. Er brauchte eine Pause.
Alex befreite sich vom Sitzgurt. „Ähm, könntest du mich kurz…“
„Du magst doch Curry, oder? Was meinst du, wollen wir morgen telefonieren oder willst du gleich einen Treffpunkt ausmachen?“
Langsam wurde der Druck seiner Blase erbarmungslos.
„Ich müsste jetzt wirklich…“
Ach, gib mir einfach deine Nummer, ja? Das ist am Einfachsten. Ich ruf‘ dich kurz an, wenn wir gelandet sind, dann hast du auch gleich meine Nummer.“ Marie hielt ihm ihr Handy hin, damit Alex seine Nummer einspeichern konnte.
„SCHEIßE NOCHMAL! ICH HABE KEINEN BOCK AUF DEINEN BESCHEUERTEN OLDTIMER-SCHEIß ODER ÜBERHAUPT AUF DICH! KANNST DU NICHT EINFACH FÜR 5 MINUTEN DIE KLAPPE HALTEN??? WENN DU NUR NOCH EIN WORT SAGST, VERGESS ICH MICH!“
Damit ergriff Alex Maries Handy, pfefferte es gegen die gegenüberliegende Bordwand, was ihm einiges an Protest der anderen Fluggäste einbrachte, stieg mit einem Fuß auf seinen Sitz, um dann mit dem anderen über Marie drüber zu steigen.
„UND ICH WILL EINEN NEUEN SITZPLATZ!“, schrie er dem Flight Attendant entgegen, der sich erkundigen wollte, woher der Aufruhr stammte.  
Damit stampfte Alex Richtung Klo davon.

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