von Carmen

Übung 1

Vorgabe:
Einen Text schreiben mit einer auktorialen Erzählsituation, der Auskunft gibt über eine Person, die sich in einem Park aufhält und dort etwas ungewöhnliches tut.
Zeit 25 Minuten

Fragen:
Was will diese Person?
Wie geht es ihr?
Was tut sie?

Da saß Claudia nun auf ihrer Picknickdecke, völlig allein und bis auf die Haut durchnässt. Mit verbissenem Blick konzentrierte sie sich auf die blaue Luftballon-Schlange in ihren Händen, die aufgrund dieses wolkenbruchartigen Regens ganz sicher niemals aufgepumpt werden würde.

Es war eine Verzweiflungstat gewesen, als Claudia mit Picknickdecke, Luftpumpe und einer Tüte Luftballon-Schlangen aufgebrochen war, um – wie sie sagte – im Park ein paar Kindern ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern nach dieser dunklen Zeit des Zuhause-Herumsitzens. In Wahrheit ging es ihr natürlich nicht darum, die Kinder glücklich zu machen. Nein, sie brauchte das Lachen der Kinder, um ihre eigene Einsamkeit, die sie in den eigenen vier Wänden fast in den Wahnsinn getrieben hatte, für einen kurzen Moment vergessen zu können. Die schwarz gefärbten Wolken, unheilschwanger über den Park wachend, ignorierte sie. Was sie nicht sah, war nicht da. Die Logik einer Fünfjährigen, die wir alle kennen und aus der wir alle irgendwann herauswachsen.

Aber Claudia lief auf dem Zahnfleisch, sie brauchte etwas Normalität, jetzt!, sofort!, und flüchtete sich in die wohltuenden, einfachen, kindlichen Denkweisen, die bei uns Erwachsenen so selten funktionieren.
Und so finden wir Claudia auf der Picknickdecke im Park, sich mit letzter Kraft an der naiven Logik festhaltend. Einen Regen, den sie ignorierte, würde gleich aufhören. Die Kinder würden kommen und begeistert Luftballon-Hunde, -Mäuse, Häschen und -Blumen verlangen. Sie würden entzückt kreischen, wenn sie ein Tierchen ergattern konnten und gleich ein weiteres verlangen, lügen und behaupten, es sei fürs Geschwisterchen zuhause obwohl sie es selbst behalten wollten und Claudia würde die Luftballons gar nicht so schnell aufpumpen oder drehen können. Einige würden im Eifer des Gefechts platzen, die Kinder würden erschrecken und dann wieder lachen.
Aber es sollte nicht so sein. Es regnete noch bis spät in die Nacht an jenem Tag. Claudia blieb stark und versuchte ganze 45 Minuten, diese erste blaue Luftballon-Schlange aufzupumpen, doch dann gab sie doch nach und irgendwann mischte sich der Regen mit Claudias Tränen.

Übung 2

Vorgabe:
Den Text aus Übung 1 umschreiben in einer anderen Variante der
auktorialen Erzählsituation.

Gewählte Situation: Der ausschweifende Erzähler

Da saß Claudia nun auf ihrer Picknickdecke, der rot karrierten, die sie sich damals an einem helleren, besseren Tag in diesem kleinen bunten Laden mit der klingelnden Tür in der Schillerstraße gekauft hatte, direkt gegenüber der Wohnung ihres Freundes Max, der nun ihr Ex-Freund war. Immer mal wieder wollte sie zurückgehen in diesen Laden und hat es doch nicht getan, so wie sie grundsätzlich kaum vor die Tür ging, weil sie ja dann hätte ihm begegnen können. Dabei war Max doch schon seit mehreren Monaten umgezogen.
Doch Claudia hatte sich abgekapselt und die gemeinsamen Freunde ausgeschlossen, die Max kannten und an Max erinnerten. Sie hatte Geburtstage und Grillparties verpasst, nichts mitbekommen von Ollis Unfall, der in der Folge seinen Job bei der Rückversicherung aufgegeben hatte und Hausmann geworden war.
Dabei hätte ein Anruf genügt. Wusstest du schon? Hast du gehört? Der Max, wart ihr nicht mal zusammen?
Was natürlich alle wussten und wo alle nur so taten, als ob sie es nicht wüssten, um der Tatsache keine Relevanz zu verleihen.

Da saß Claudia nun in ihrer selbst verschuldeten Einsamkeit auf ihrer Picknickdecke, auf der sich tiefe Pfützen bildeten, und konzentrierte sich auf die blaue Luftballonschlange. Sie hatte blau immer gemocht, blau wie die karibische See, blau wie der perfekte Himmel, nicht so wie heute, wo er so eine nebelverhangene, regentriefende graue Unfarbe trug, die Claudia an Maxens Augen erinnerte, trüb und traurig. Das hatte seinen Augen immer diese Tiefe gegeben, wie sie fand. In Wahrheit hatte Max hellbraune Augen gehabt und vielleicht war die Erinnerung an die falsche Farbe genauso wie der Fakt, dass Claudia trotz Liebeskummer und Starkregen mit der blauen Luftballonschlange im Park saß, ein erstes Zeichen dafür, dass sie auf einem guten Weg war.
Auch wenn sie es an diesem und an den folgenden Tagen nicht schaffte, aus dem Luftballon einen Elefanten zu drehen und am Abend wieder einmal weinend einschlief, so betrat sie doch am Ende der Woche den kleinen Laden mit der klingelnden Tür in der Schillerstraße, wo sie Yves begegnete, einem  ewigen Studenten mit blauen – wirklich blauen – Augen, der sich dort als Verkäufer etwas dazuverdiente, um sich das Ticket für das dreitägige Mittelalterfestival im Sommer leisten zu können. Dieses Mittelalterfestival, auf das ihn Claudia begleiten sollte. Aber das, meine Lieben, wird eine andere Geschichte.

 

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