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Schlagwort: Aktenstaub

Über Zitronenfalter (letzter Teil)

von Jana, Lesezeit ca. 12 Minuten

Lies nach! Teil 4 der Geschichte findest du hier!

Müller, Ernst Müller stand ihr gegenüber auf der anderen Seite des Tisches und er wirkte fast ein wenig amüsiert.

„Sie arbeiten ja wirklich sehr hart“, bemerkte er.

„Ich glaube Gregor Berger hat etwas mit der Sache zu tun. Und Karen. Und dieses Fax“, sprudelte es plötzlich aus ihr heraus. „Vielleicht verliere ich aber auch den Verstand.“

Müller, Ernst Müller zog eine Augenbraue weit nach oben, das höchste Maß an Ausdruck, was sie jemals bei ihm gesehen hatte. Träumte sie noch?

„Sie verlieren nicht den Verstand, Frau Jo“, erklärte er. „Im Gegenteil, Sie haben völlig Recht!“

Nun war sich Jo sicher, dass sie noch träumte. Das Fax fing plötzlich wieder an zu Fiepen. Sie sprang auf, stieß dabei gegen die Schreibtischkante, es tat weh, sehr weh.

„Ich träume nicht“, erkannte sie.

„Nein, Frau Jo, Sie träumen nicht.“ Das Rattern des Faxes hatte eingesetzt, doch die Papierzufuhr war leer und mit einem weiteren, fast traurig klingenden Fiepen stellte das Gerät seine Arbeit wieder ein. „Haben Sie die Zahlenfolge entschlüsselt?“

„Was? Nein, nein, habe ich nicht.“

Müller, Ernst Müller musterte sie für einen Moment. „Ich hatte Sie für klüger gehalten.“

„Helfen Sie mir dabei?“, bat Jo, „Ich will den Abteilungsleiter nicht enttäuschen. Eigentlich mag ich diesen Job, wissen Sie?“ Das war gelogen. Sie wollte sich einfach nur nicht blamieren.

Müller, Ernst Müller seufzte, dann schüttelte er den Kopf. „Frau Jo, Sie erscheinen mir wirklich ein wenig schwer von Begriff. Sie haben ja überhaupt nichts verstanden!“

„Aber…“

„Zitronenfalter! Zitronenfalter!“

„Schmetterlinge?“

Müller, Ernst Müller schnaubte. „Nein, keine Schmetterlinge. Es geht um das Sprichwort. ´Wer glaubt, dass Abteilungsleiter Abteilungen leiten, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.` Was Sie da in der Hand haben, ist nichts, gar nichts!“

„Doch, es ist etwas“, widersprach Jo. „Gregor sagte, es hätte ihm die Augen geöffnet. Er hat irgendetwas genehmigt, obwohl er es nicht wollte. Er hatte sich verändert, diese Zahlen müssen etwas bedeuten. Sie…“ Jo stockte. Müller, Ernst Müller, hatte begonnen zu lächeln. Es erinnerte sie an die Clowns in Gruselfilmen. Sie sollte hier weg, sofort, aber was genau machte sie so nervös? Er war nur ein Beamter und sie war in einem Bürogebäude. Nichts Schlimmes passierte in Bürogebäuden.

„Dann hat er es also doch geschafft, sie zu infizieren.“

„Zu… was?“

„Zu infizieren. Mit der Formel!“

„Die Zahlen? Aber Sie sagten gerade, sie bedeuten nichts.“

„Und doch beginnt es bei Ihnen. Aber das ist nur verständlich, Sie waren nie ganz überzeugt. Die Schönheit und Reinheit der Bürokratie – Sie waren nie von ihr eingenommen. Sie waren leichte Beute für die Formel.“

„Formel für was?“

„Die Formel für freies Denken! Für die Abschaffung der Bürokratie!“ Es klang, als spuckte er ihr die Worte vor die Füße. Jos Blick fiel auf die Zahlenfolge auf dem Tisch. Die Abschaffung der Bürokratie?!

„Der Abteilungsleiter hat sie entdeckt“, fuhr Müller, Ernst Müller fort. „Er glaubt, sie würde die Welt besser machen. Er hat keinen Respekt für Regeln und Hierarchien, Dokumentation und Zuständigkeiten. All diese Dinge, die das Chaos eindämmen, die dafür sorgen, dass jeder, der im Formular 452 die Fragen A bis F mit ´Nein.` beantwortet, den gleichen Bescheid bekommt. Weil es so zu sein hat!

Die Bürokratie ist das einzig Verlässliche in dieser Welt. Sie darf auf keinen Fall abgeschafft werden!“

Jo spürte, wie ihr kalt wurde. Müller, Ernst Müller begann ihr ernsthaft Angst zu machen. „Und Gregor?“, fragte sie leise.

„Gregor hat die Formel verstanden und obwohl er so ein treuer Schüler von mir war, hat er sie geglaubt. Es war die Liebe, er hatte sich in Karen verliebt, das hatte ich nicht bedacht. Ich musste ihn beseitigen.“

„Aber.. Sie sagten, der Abteilungsleiter hätte die Formel entdeckt. Müssten Sie dann nicht ihn…?“ Sie wollte das Wort ´beseitigen` nicht aussprechen.

„Der Zitronenfalter, Frau Jo, Sie bemessen ihm zu wenig Bedeutung bei. Ja, es stimmt, er hatte Gregor infiziert und Sie hätte er früher oder später auch überzeugt, aber was glauben Sie, wie viele Mitarbeiter diese Mappe schon auf dem Tisch hatten und nichts, absolut nichts ist passiert? Er hockt da oben in seinem Büro und glaubt, gerade die Welt zu verändern. Dabei passiert nichts. Warum sollte ich den Mann beseitigen? Woher weiß ich, dass sein Nachfolger sich nicht klüger anstellt?“

„Aber Gregor hatte doch viel weniger Macht!“

„Gregor hatte sich in Karen verliebt und sie war fast soweit, ihn zurückzulieben. Er hatte sich verändert. Noch hatte es kaum jemand bemerkt, doch wenn, hätten seine Kollegen angefangen Fragen zu stellen. Verliebte, strahlende Menschen haben die Fähigkeit andere zu überzeugen. Das Risiko war zu groß!“

„Also haben Sie ihn und Karen beseitigt?!“

„Nur ihn. Karen hatte bereits Pläne zu gehen. Es war nicht mehr nötig. Sie trampt tatsächlich um die Welt.“

Jo wurde bewusst, worauf dieses Gespräch hinauslief. Sie hatte die Formel zwar nicht selbst entschlüsselt, aber sie kannte sie nun. Sie war eine Bedrohung für seine ach so geliebte Bürokratie. „Ich könnte auch um die Welt trampen…?“

„Das könnten Sie, aber ich lasse es nicht zu. Sie sind hartnäckig und Sie glauben daran, etwas verändern zu können. Karen hatte dieses Büro vergessen, sobald sie auf die Straße trat, aber Sie, Sie werden wiederkommen, das spüre ich. Nein, tut mir leid, Sie werden diesen Raum nie verlassen.“

Das Fax fing plötzlich wieder an zu fiepen, lauter und schneller als jemals zuvor. Dann ratterte es und schließlich stiegen Rauchschwaden auf.

Jo spürte, wie ihr schwindlig wurde. Der Raum um sie herum verschwamm. Sie verlor den Halt, fühlte sich plötzlich leer und beinahe entrückt, als würde sie… ´Das Fax… er hatte Gregor tatsächlich in das Fax gesperrt! Er wird es auch mit mir tun!` Panisch sah sie sich um, nach einer Waffe, irgendetwas, das ihr helfen konnte, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie Müller, Ernst Müller stoppen konnte. Der fing an zu lachen, ein höhnisches hässliches Lachen, eines, das in Horrorfilmen an genau der Stelle kam, an der etwas ganz Furchtbares passieren würde. Jos Blick fiel auf die Zahlenfolge, sie hatte nichts mehr zu verlieren. Sie drehte sich zum Fax, tippte die Nummer ein und drückte senden. Sie hörte noch, wie Müller, Ernst Müller aufschrie und dann wurde die Welt um sie herum dunkel.

Drei Jahre später

„Und Sie sind sicher, dass Sie das wollen?“, der Techniker blickte sich um. Der Mann, der ihn eingelassen hatte, zuckte mit den Schultern.

„Ich nicht, aber wenn die da oben das wollen, wird das schon passen.“

„Ist in diesem Büro überhaupt jemand? Wer kontrolliert denn, ob hier was durchkommt?“

Wieder zuckte der Mann mit den Schultern. Der Techniker sagte nichts. Er bemühte sich, erst die Augen zu verdrehen, als er sich wieder dem Fax zugewendet hatte. Jemand hatte das Stromkabel entfernt.

„Muss ich nachschauen, ob ich so eins dabei hab.“ Er griff nach seiner Tasche. „Das ist Diebstahl, so ein Kabel mitzunehmen, Diebstahl.“

Der andere Mann seufzte. „Ja, die Frau, die hier zuletzt gearbeitet hat, die soll ein bisschen… naja… nicht ganz so gut beieinander gewesen sein. Hat eines Tages rumgeschrien, dass ihr Chef sie in das Fax einsperren wollte, genau wie den Kollegen vor ihr. Hat um Hilfe gebrüllt, dass man den Kollegen aus dem Fax holen soll. Aus ´nem Fax! Dann hat sie noch erzählt, sie hätte ihren Chef jetzt auch dort eingesperrt und man dürfe das Fax nie wieder anschließen, weil dann schreckliche Dinge passieren würden.

Armes Mädchen, war wohl noch recht jung und so, aber sitzt jetzt ein, Sie wissen schon, plemplem eben.“

Der Techniker schüttelte den Kopf. Büroleute. Die hatten alle einen Knall, wenn man ihn fragte. Den ganzen Tag nur vor dem Bildschirm hocken, da musste man ja verdummen.

„Na ja, so ganz genau weiß ich das alles natürlich nicht. Ich war ja nicht dabei. Und ich gebe auch nicht viel auf Gerüchte.“

Der Techniker sah von seiner Tasche auf, er hatte das Kabel gefunden. Sein Gegenüber war etwas dicklich, der Anzug saß schief und da waren Schweißperlen auf seiner Stirn. Er wollte nichts Schlechtes über Menschen denken – abgesehen von der allgemeinen, aber völlig gerechtfertigten Annahme über den mangelnden Geisteszustand von Büroangestellten – aber er vermutete, dass der Mann so wenig von Gerüchten hielt, weil ihn nie jemand darin einweihte.

Er steckte das Kabel in das Faxgerät und den Stecker in die Dose. Dann legte er Papier von einem verstaubten Stapel ein. Bevor er auch nur den Einschaltknopf betätigen konnte, fing das Fax an zu fiepen. Dann setzte ein Rattern ein und wie in Zeitlupe schob sich ein Blatt Papier aus dem Gerät.

-ENDE-

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Über Zitronenfalter (4)

von Jana, Lesezeit < 5 Minuten

Lies nach! Teil 3 der Geschichte findet Ihr hier!

Sie starrte gebannt auf die Seite, für einen Moment unfähig, sich zu rühren. War das Zufall? Nein, es war unmöglich ein Zufall, aber wie…?

Als hätte es ein Signal erhalten, gab das Faxgerät einen lauten Fiepton von sich, dann setzte das vertraute Rattern ein und langsam schob sich ein Blatt Papier aus dem Gerät. Jo wusste nicht, ob sie es lesen wollte. Würde wieder die gleiche Zahlenfolge darauf stehen? Was, wenn nicht? Wenn sie gerade einem Geheimnis auf die Spur gekommen war, und das Fax nun sein Wissen preisgab, zu dem sie bisher noch nicht berufen gewesen war? Jo wusste nicht warum, doch plötzlich hatte sie Angst davor, ihr Rätsel zu lösen. Immerhin war ihr Vorgänger von einem auf den anderen Tag verschwunden. Seine Kollegen behaupteten zwar, das wäre freiwillig passiert, aber was, wenn nicht? Was, wenn Gregor Berger von den staubgrauen Gängen verschluckt worden war und nun über ein Faxgerät zu ihr sprach?

„Jo… du darfst nicht mehr so viel Kaffee trinken!“, entschied sie laut und schüttelte den Kopf über sich selbst. Die Lösung für diesen seltsamen Zufall lag doch auf der Hand. Der Abteilungsleiter hatte den Auftrag irgendwann einmal per Fax verschickt, dann war das Gerät kaputtgegangen und wiederholte nun den letzten Auftrag wie einen Schluckauf, wieder und wieder, bis das Problem behoben war.

„Genau. Ein Schluckauf, eine gute Erklärung“, sprach sie sich selbst Mut zu. Ihre ganze Rätselraterei war nur ein Hirngespinst, geboren aus ihrer Langeweile. Sie hätte besser die Akten in ihrem Büro studieren sollen, anstatt den Kalender ihres Vorgängers.

Entschlossen stand sie auf, riss die Ausdrucke von der Wand und warf sie zusammen mit dem Taschenkalender in den Papierkorb.

„Keine Rätsel mehr, keine Geheimnisse“, sagte sie leise. Der Auftrag des Abteilungsleiters war nur das, ein Auftrag einer Führungskraft an ihre Mitarbeiterin. Die Zahlenfolge würde einen völlig logischen, harmlosen Sinn ergeben, wenn sie sich nur etwas Mühe gab, sie zu verstehen. Sie atmete tief durch und griff wieder nach der blauen Akte. Sie enthielt nur drei Blätter, alle drei waren mit den Zahlenfolgen gefüllt.

„Was bedeutet ihr?“, murmelte sie. Ein Code? Koordinaten vielleicht? Vielleicht musste man die Einsen streichen, oder lieber die Fünfer?

Plötzlich stand sie in einem fremden Büro. Hinter dem Schreibtisch saß eine Frau, die Jo bekannt vorkam. Sie blickte gerade auf und verdrehte die Augen. Doch es lag nicht an Jo, sondern an dem Mann, der soeben das Büro betrat. Gregor Berger.

„Was willst du?“, fragte die Frau.

„Karen, ich…“ Karen? Die Karen? Die Seit-vier-Jahren-um-die-Welt-Tramperin-Karen?

„Es tut mir wirklich sehr leid“, sagte Gregor und Karen war scheinbar genauso überrascht darüber wie Jo.

„Und was genau?“

Statt einer Antwort reichte ihr Gregor einen dünnen Stapel Blätter. „Als Wiedergutmachung.“

Karen schien nicht begeistert. Vermutlich hätte Gregor es mit Blumen versuchen sollen. Dann aber lächelte sie breit.

„Du hast es genehmigt? Aber du hast gesagt, wir seien nicht zuständig!“

Gregor wirkte verlegen. „Ja, aber jemand meinte, wenn man ein bisschen weiterdenkt…“

„Und du bist dir damit sicher?“

Gregor schaute auf seine Schuhe und dann auf einen Punkt hinter Karen. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Mich… mich hat beeindruckt, was du in den Besprechungen immer wieder gesagt hast“, erklärte er schließlich. „Dass wir unser Leben nicht leben, wenn… na ja… wir die Dinge nicht öfter hinterfragen. Dass wir einen Teil der Welt, die vor unserer Nase liegt, einfach ausschließen.“

„Du hast es irrelevant und verträumt genannt! Und ein paar andere Sachen.“

Gregor nickte. „Ja, aber ich habe einen Auftrag von unserem Abteilungsleiter bekommen. Der hat mir die Augen geöffnet.“

Nun war Karen ganz offensichtlich verwirrt, Jo jedoch hätte Gregor am liebsten geschüttelt. Ein Auftrag des Abteilungsleiters? Das konnte doch kein Zufall sein. Aber halt: Das hier war ein Traum, oder? Ein Hirngespinst und nichts, was tatsächlich passiert war. Oder doch?

„Ich muss es dir zeigen. Nicht jetzt, aber morgen. Lass uns morgen zusammen Mittag essen gehen, in Ordnung?“

Das Bild verschwamm und egal wie sehr Jo es festzuhalten versuchte, sie saß wieder in ihrem Büro am Schreibtisch, den Kopf auf die Papiere vor ihr gelegt: Der Auftrag des Abteilungsleiters, kein Wunder, dass sie diesen Mist geträumt hatte. Sie richtete sich langsam auf und stellte überrascht fest, dass sie nicht allein war.

Das Finale findet ihr hier! Lies los!

Über Zitronenfalter (1)

von Jana, Lesezeit ca. 5 Minuten

„Müller, Ernst Müller.“ Er streckte die schmale Hand aus, sein Händedruck war unangenehm weich. Er wirkte weder alt noch jung, noch irgendetwas, das sie mit einer Charaktereigenschaft verbunden hätte. Er schien nicht mal wirklich da zu sein. Mit der grauen Hose, dem grauen Hemd. Wie ein verwaschenes Foto aus einer längst vergangenen Zeit.

„Jo“, wiederholte sie. Sie hatte sich nur mit Vornamen vorgestellt, ein offensichtlicher Fauxpas, den sie nun nicht mehr zurücknehmen würde. Sie strich sich nervös über den kratzigen schwarzen Wollrock und unterdrückte die Versuchung, mit der Hand wieder an ihrem viel zu festen Pferdeschwanz zu zupfen. Ihre Füße in den hohen Schuhen schmerzten schon jetzt. Sie hätte auf Anja hören und dass mit der Verkleidung lassen sollen. Kein Job war es wert, dass sie sich folterte.

„Gut, Frau… Jo.“ Müller, Ernst Müller machte eine kaum wahrnehmbare Handbewegung, die Jo großzügig als Aufforderung interpretierte, ihm zu folgen.

Die langen, zwillingsgleichen Gänge waren nur spärlich beleuchtet. Nach mehreren Abzweigungen begann Jo sich zu fragen, wie sie sich jemals zurechtfinden sollte in diesem Reich aus grauem Linoleum und beige-braun-gestrichenen Türen, die ausnahmslos alle verschlossen waren. Ihr Begleiter ging in all dem Grau beinahe unter. Vielleicht war das der Trick. Ihr schauderte bei dem Gedanken.

„Wann lerne ich die anderen Kollegen kennen?“ Müller, Ernst Müller schaute sie irritiert über seine Schulter hinweg an.

„Der Abteilungsleiter wird Sie zu gegebener Zeit vorstellen. Sie wissen ja, Zitronenfalter!“

Zi… was? Nun, bestimmt war es nicht wichtig.

Sie gingen weiter, noch eine Abzweigung, eine Treppe nach oben und einen weiteren Gang entlang, bis sie schließlich vor einer Tür stehen blieben, die sich in nichts von den anderen unterschied. Dann entdeckte Jo das Schild. Die Nummer 345 und ihr Name standen darauf. Sie hatten den Nachnamen falsch geschrieben, wie üblich. Sie fragte sich, ob sie Müller, Ernst Müller darauf aufmerksam machen sollte. Vermutlich würde es ihn völlig aus der Fassung bringen.

„Ihr Büro“, erklärte er unnötigerweise und schloss die Tür auf.

Der Raum war so groß wie ein Handtuch und dunkel wie der Gang, aus dem sie kamen. Das einzige Fenster war vor Vernachlässigung blind. Sie fand den Lichtschalter und eine Neonröhre erwachte unter angestrengtem Flackern zum Leben. Sie erleuchtete einen Schreibtisch, der den Raum fast vollständig ausfüllte. Darauf stand ein Röhrenbildschirm; Tastatur und Aktenstapel schliefen unter einer Staubschicht von zwei Zentimetern. Doch Jo fiel vor allem ein seltsames Gerät neben dem antiken Bildschirm auf, das in diesem Moment anfing rot zu blinken.

„Was…?“, begann sie.

„Entschuldigen Sie die alte Ausrüstung“, sagte Müller, Ernst Müller. „Der Kollege von der IT kommt heute noch vorbei und Ende nächster Woche sollte auch das neue Telefon kommen. Materialausgabe ist immer mittwochs 8 Uhr im ersten Stock. Ich schlage vor, Sie lesen sich ein“, er deutete auf einen der verstaubten Stapel, „und wenn Sie Fragen haben, wissen Sie ja, wo Sie mich finden.“

Nein, weiß ich nicht, dachte Jo, doch die Akten würde sie ohnehin nicht anfassen, bevor sie sich von irgendwoher eine Schutzausrüstung besorgt hatte.

„Was ist das?“, fragte sie und deutete auf die seltsame Maschine auf dem Schreibtisch.

„Ein Fernkopierer.“

„Ein…?“

„Fern.Ko.Pie.Rer. Ihre Generation nennt es möglicherweise Faxgerät.“

Ihre Generation nannte es E-Mail und verschickte damit Anhänge, ein Fax besaß vielleicht noch ihre Großmutter.

„Es blinkt“, stellte sie fest. Müller, Ernst Müller zuckte mit den Schultern.

„Es ist defekt. Seit der Kollege vor Ihnen uns verlassen hat, sendet es ständig Zahlenfolgen, niemand weiß, was sie bedeuten oder wer sie sendet.“ Als hätte das Fax auf diese Worte gewartet, begann plötzlich ein ohrenbetäubendes Fiepen und Rattern und wie in Zeitlupe schob sich ein bedrucktes Blatt Papier aus dem Gerät. Niemand rührte sich. Als es wieder still wurde, räusperte Müller, Ernst Müller sich. „Ignorieren Sie es einfach. Die IT kümmert sich darum.“

„Seit wann denn?“ Sie hatte die Frage, die die Staubschicht ihr in den Mund gelegt hatte, eigentlich nicht laut stellen wollen.

„Drei Jahre… vielleicht auch fünf.“

„Oh…“

„Nun denn, einen guten Start!“

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