von Carmen
Da war er nun. Eine Unmöglichkeit. Sie war überzeugt gewesen, dass die Zeiten vorbei seien. Dass sie Gefühle überwunden hätte. Gefühle waren für Menschen, die damit umgehen konnten. Nicht für sie.
Da war er nun. So anders. So außerhalb ihrer Welt. So unerreichbar. So eine wahnsinnig präsente Reißzwecke, die in jedem ihrer Gedanken steckte. Bei der Einkaufsliste, beim Gespräch mit anderen, beim Einschlafen, beim Sport – sie sah sein Gesicht, seine Augen, seine Schuhe. Warum ausgerechnet seine Schuhe?
Sie, die harmlose, die naive, die unsichere. Sie hatte nie Reserven aufgebaut, auf die sie hätte zurückgreifen können. Und doch beschloss sie, ihre Comfort-Zone zu verlassen und ihre Fühler nach ihm auszustrecken. Wie ein zerbrechlicher Schmetterling war sie ab nun dem Wetter ausgesetzt. Ein bisschen falsches Timing, eine kleine, falsche Bewegung, ein sanfter Windstoß und sie würde davongetragen. Doch daran dachte die Naive nicht, nur an ihre Reißzwecke, ausschließlich an ihre Reißzwecke. Flatternd, taumelnd, tollpatschig kämpfte sie sich in seine Nähe.
Erschöpft, ohne Schutz, zart stand sie schlussendlich vor ihm.
Er sah sie an. Und sah sie nicht.
Und ein leiser Windhauch wehte.
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