von Jana, Lesezeit ca. 5 Min.

Tom hasste die Höhe. Er liebte Geisterbahnen, doch in ein Riesenrad hätte er nie einen Fuß gesetzt. Sie dagegen schaute sehnsüchtig auf die Gondeln, die hoch in die Lüfte stiegen und egal wie klein oder albern das jeweilige Fahrgeschäft tatsächlich war, jedes Mal sprang ihr die Liedzeile in den Kopf. „Über den Wolken…“ Wenn sie wenigstens das hätte tun können. Die Ängste und Sorgen in die nächste Kabine packen und mitfahren lassen, wieder und wieder im Kreis. Noch vor der letzten Runde hätte sie sich davon gestohlen und sie dort gelassen. Doch Tom zog sie weiter.
Sie hasste Geisterbahnen. Sie konnte nicht verstehen, warum man sich freiwillig fürchten wollte. Er sagte, das wäre nur Spaß und sie müsste lockerer werden. Sie kniff die Augen zusammen und hielt sich die Ohren zu. Er lachte und schoss ihr später einen Teddybären mit Herzstickerei. Er war niedlich und flauschig und nicht das, was sie wollte.
Sie steht allein vor dem Riesenrad, zögert. Es ist klein, voller bunter Leuchtdioden und alberner Bemalung. Soll sie wirklich? Die blondgelockte Frau im Kassenhäuschen winkt ihr auffordernd zu.
Das Rad setzt sich in Bewegung, sie mit ihm, hoch hinaus. Die Sonne blendet und im ersten Moment sieht sie nichts. Doch nach und nach gewöhnen sich die Augen an das Licht, werden die Häuser unter ihr kleiner, die Autos zu Spielzeugen, die Menschen zu Schachfiguren. Der Boden der Tatsachen schwindet. Sie will die Augen schließen, um den Moment zu genießen und schüttelt selbst den Kopf über sich. Nicht eine Sekunde wird sie verpassen. Nicht eine Sekunde Höhenflug. Als sie sich dem Boden nähert, schallt laute Musik zu ihr. „Somewhere over the rainbow“. Fast so schön wie über den Wolken.
Sie darf lange in der Kabine sitzen bleiben. Oben fällt das ihr das Atmen leichter. Oben fühlt sie sich beinahe frei.
Als sie aussteigt und die Türen sich hinter ihr schließen, sitzt der Teddybär mit Herzstickerei noch immer auf der Holzbank. Er wird einige Runden allein bleiben, bis er einen neuen Besitzer gefunden hat.
Bevor sie den Ausgang erreicht, dringt Frank Sinatra aus den Boxen. „I did it my way.“ Ganz genau.

 

Bei diesem Text habe ich minimal geschummelt: Idee und erste Sätze sind während der Riesenrad-Fahrt entstanden. Fertig geschrieben habe ich ihn dann an meinem Schreibtisch…