Zerknülltes Papier
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Die kleine Kolumne über die Tücken des (Roman)-Schreibens

von Jana, Lesezeit < 10 Minuten

Kapitel 4 – Alle gegen die Hauptfigur

Es diskutieren die Autorin (A) und zwei ihrer Romanfiguren: Eleonore (E) und Damian (D), Eltern der Hauptfigur Jule. Die beiden haben sich scheiden lassen, als Jule fünf war (mittlerweile ist sie Mitte zwanzig). Eleonore war zwischenzeitlich noch drei weitere Male verheiratet.

A pfeift fröhlich vor sich hin.
E: Ich finde eigentlich nicht, dass du Anlass zu guter Laune hast. Die Szene ist grässlich!
A: Warum du das sagst, weiß ich. Immerhin schmeißt dich Jules Therapeut raus. Aber erstens kommt die Szene sowieso nicht in den Roman, weil sie Backstory ist und zweitens: Ich liebe sie! Jule hat endlich einen Mentor. Einen ECHTEN Mentor.
E: Ich bin ihre Mutter! Wenn jemand ein Mentor sein könnte, dann ja wohl ich.
A: Nee, ich glaube nicht. Du hast nicht Jule im Blick.
E: Bitte?!
A: In eurer Konstellation gibt es nur die Rollen Mutter und Tochter, aber Jule ist mehr als das. Und gerade für den Roman muss sie sich aus der Rolle Tochter lösen und sie selbst werden. Und sie dabei zu unterstützen, darin bist du ehrlich gesagt… ähm… na ja.
E: Sag mal, spinnst du?! Ich bin eine erfolgreiche selbstständige Unternehmerin. Ich war die letzten Monate pausenlos für Jule da! Und ich…
D: Entschuldigung, wenn ich auch mal was dazu sagen darf. Ich finde, Eleonore hat Recht. Also, ja, vielleicht ist ihr Blick etwas beschränkt, aber sollten Eltern nicht die perfekten Mentoren sein?
A: Ernsthaft? Ausgerechnet du?
D: Wieso? Was ist falsch mit mir?!
E: Willst du es chronologisch oder nach Sachthemen sortiert? Ich gebe ihr völlig recht, du bist ein beschissener Mentor!
D: Hey, ich bin der EINZIGE, der sie mir ihren Kräften vertraut machen kann.
E: Das ist auch der EINZIGE Grund, warum du überhaupt mitspielst.
A (flüstert E zu): Außerdem ist er an allem schuld.
E: Oh richtig, ich vergaß: Du bist an allem schuld.
D: Das ist unfair! Ich wollte dir gerade beistehen.
A: Es war doch deine Idee, mir Dr. Jacobi genauer anzuschauen.
D: Ja schon, aber ihn gleich zum Mentor zu befördern!
A: Eigentlich ist es mir völlig egal, was ihr dazu sagt. Ich habe endlich eine Figur, die Jule um ihrer selbst willen unterstützt. Keine Kräfte, keine falsch platzierten Gefühle, keine Machtspielchen, keine Weltzerstörungspläne! Es soll ihr einfach nur gut gehen!
E: Dir ist klar, dass er sterben muss?
A: WAS??
E: Oder wenigstens aus der Gleichung genommen werden muss. Schätzchen, du schreibst einen Roman, da geht es um Konflikte! Niemand will lesen, dass es der Hauptfigur gut geht.
D: Und wieder frage ich mich, wie du als ihre Mutter…
E: Hey, ich spiele eben die Rolle, die man mir zugedacht hat, und ich spiele sie gut. Glaub nur nicht, dass du besser wegkommst. Du belügst sie die ganze Zeit und außerdem bist du…
D: …an allem schuld. Ich habe es kapiert.
A: Ich will nicht, dass Jacobi stirbt. Ich will, dass irgendetwas in Jules Leben funktioniert!
E/D: …
A: Kapitel 6 ist wohl eindeutig zu früh dafür.
E/D: …
A: Deswegen lügt sie ihn auch an und kann ihm nicht vertrauen. Jetzt macht das Sinn.
E/D: …
A: Ich hasse diese Kolumne. Warum genau mache ich das?
E/D: …

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