von Jana, Lesezeit < 10 Min.

Erinnert Ihr Euch an den Text „Morgens vor Corona“? Das ist quasi die Fortsetzung. Morgens, kurz nach dem Lockdown…

#stayathome #staysafe #sofasrettenleben – und sie? Steht an der Bushaltestelle, Dienstag morgen, 7 Uhr, Wind und Nieselregen. #staythefuckathome, schön wär‘s! Brot backen lernen und Gesichtsmasken stricken, Bücher schreiben, Bücher lesen, einen Six-Pack antrainieren – oder doch eher trinken. Erstmal einen zum trinken haben, aber im Moment ist in den Supermarkt gehen ja ein Spießrutenlauf. Thefuckathome! Fuck.

Die Haltestelle ist leer. Die ganze Straße ist leer, seit dem Wochenende Ausgangsbeschränkungen. Allein, allein, angemessen um die Zeit, denn mal ehrlich: Niemand sollte morgens um sieben an irgendeiner Bushaltestelle im Regen warten müssen, Corona hin oder her und trotzdem völlig verkehrte Welt. Wo kommen wir hin, wenn wir nirgendwo mehr hingehen können? Muss sie froh sein, kein Brotbacken lernen zu müssen, weil sie noch arbeiten kann? Oder Angst haben, weil sie sich dadurch nicht völlig isoliert? Und wieso eigentlich backen, haben die Leute nichts anderes zu Hause zu tun? Genaugenommen hat sie nach 124 StarTrek-Folgen wahrscheinlich tausende Leben vom Sofa aus gerettet, aber da war das eben noch nicht cool. Jetzt wohl auch nicht. Mehl soll ja auch ausverkauft sein… können die tatsächlich alle backen, so richtig? Sie ist ja schon von Dr. Oetker überfordert.

Der Bus ist leer. Leer! Ein Bus für sie ganz allein, vor Schreck vergisst sie, sich zu setzen. Der Bereich zum Fahrer mit rot-weißem Flatterband abgesperrt, wie auf einer Baustelle. Das ganze Leben eine Baustelle, gerade, alles im Umbruch, neu, nichts funktioniert, die Pausetaste gedrückt, sorry, under construction, come back later, aber die Arbeit läuft irgendwie normal weiter, einstempeln, ausstempeln war nie bekloppter als jetzt, wo doch alle die Luft anhalten, als würden sie das locker länger als fünf Minuten schaffen. Tage, Wochen, Monate in einem seltsamen Vakuum verschluckt, während die Tretmühlen weiter mahlen. So schräg.

Sie setzt sich doch, noch jemand steigt ein, schaut zu ihr, dann erinnert er sich, geht an das andere Ende des Busses. Alles neu, sich gegenseitig begrüßen neu lernen, wegducken ist der neue Handschlag. Sie will aussteigen und der Ärmel der Jacke ist zu kurz, passt nicht über ihren Daumen, doch sie kann die Taste ja nicht mit bloßem Finger berühren. Hat sie etwas angefasst? Alles, den Sitz, die Stange, vergessen und nun alles kontaminiert, herzlichen Glückwunsch, das hat sie super hinbekommen! Aber nun steht sie unter Beobachtung, der zweite Fahrgast mustert sie, die Hand unter dem Stoff ist nicht genug, die Taste leuchtet nicht rot, ihr Wunsch auszusteigen kommt nicht an. Doch der Busfahrer hat Mitleid und öffnet trotzdem die Tür.

Auf den letzten Metern trifft sie doch noch zwei Menschen, einzeln, nicht zusammen, aufgeklappter Mantelkragen, tief ins Gesicht gezogene Mütze, abgewandte Gesichter. Flüchtige im eigenen Viertel. Isoliert und herausgefallen aus der Ordnung, so wie alle jetzt. Wo gehören wir hin, wenn wir uns alle voneinander entfernen müssen? Sie hat sich noch nie so allein gefühlt. Verloren im eigenen Leben.

Die nächsten sechs Stunden beantwortet sie Fragen. Zu Corona, was sonst? Das ganze Spektrum der Verunsicherungen und Verschwörungstheorien, der Vernunftbegabten und Vollidioten, am Ende klingeln ihre Ohren. Nie wieder Corona, nie wieder. Doch es ist ja nur ein Steinwurf, ein Klick, ein Jingle, ein Blick entfernt.

Zu Fuß nach Hause, Abstand bekommen. Wieder die seltsamen dunklen abgewandten Gestalten. Als wäre eine Seuche über die Welt hereingebrochen und hätte alles Leben ausgelöscht. Scheiße, genau das ist ja passiert. So ähnlich jedenfalls. Wie soll sie sich wegträumen, wenn die Fantasie längst die Wirklichkeit ist? Nach Hause, schlafen, die Decke über den Kopf ziehen. Aufwachen und in weit entfernte Galaxien reisen. Hoffen. Vielleicht ist morgen die Welt eine andere. #Stayathome. #Sofasrettenleben?

#HaltetdieWeltanichwillaussteigen.

Mittlerweile ist eine kleine Reihe entstanden, den nächsten Teil findet ihr hier.