Geschichten. Überall und Jederzeit

Kategorie: 5 Minuten

5 Minuten schreiben. Keine Pause, kein Nachdenken, keine Grammatik. Schreib. Und los

Wortspiele, die Zweite

Ein neu zusammengesetztes Wort, fünf Minuten Zeit, zwei Texte:

Gesamtunterrock

Der Gesamtunterrock ist das neueste Werk des Designers Karl Feldlager und soll die Modewelt revolutionieren. Der „Unterrock für Alle und Alles“ kleidet nicht nur Damen, Herren und Kinder jeder Größe und Statur. Nein! Dank revolutionärer Stretchtechnik kann der Unterrock auch als Zelt oder Sofabezug hergenommen werden. Integrierte Knöpfe und Bänder machen ihn zur Handtasche. Feuerfest kann er auch als Bratbeutel genommen werden. Unzerstörbar ersetzt er sogar zerplatzte Reifen. Ein Ballonflug ist geplant!

Warum dann als Unterrock vermarkten? Nun, erklärte Karl Feldlager. Er wollte zeigen, dass man den Dingen mehr Tiefe geben muss. Auch die kleinen Dinge im Leben können große Bedeutung haben.

von Jana

95,7 – Gesamtunter-Rock-Radio. Die Radiostation für die wahren Musikfreunde. Nein, wir bringen kein Hard-Rock, kein Roll-Rock, kein Classic Rock.
Wir gehen tiefer, dorthin, wo es schmerzt! Man sagt, die Musik heilt alle Wunden? Mit Musik überwindet man schwierige Zeiten? Dann habt ihr noch nie Gesamtunter-Rock gehört.

Bei uns geht es um den Sinn in der Musik. Wir geben Euch einen Sinn. Einen Sinn im Leben. Im Sein. Hört zu. Hört hin. Ihr werdet nie wieder derselbe Mensch sein. Versprochen!
Nur hier bei 95,7 – Gesamtunter-Rock-Radio.

Von Carmen

Mehr Wortspiele gibt es hier.

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Der Besuch der launischen Dame

von Carmen, Lesezeit ungf. 2 Minuten

Dieser Text entstand am Freitag, 27.03.2020, in dieser Zeit, in der wir alle das Wort Quarantäne rückwärts buchstabieren konnten und bereits jeden rauen Fleck an der gegenüberliegenden Zimmerwand durchanalysiert hatten. (Notiz an mich selbst: Sollte nach Enätnarauq gestrichen werden. Dringend).
Dieser Text entstand als 10-Minuten-Aufwärmübung. Regeln: Alles aufschreiben, sehen, wohin der Stift mich führt, auf Assoziationen eingehen und sich treiben lassen. Nicht aufhören, Grammatik-, Orthographie- und Stilregeln existieren nicht. So oder so ähnlich rät uns Doris Dörrie in den Schreibprozess zu starten. Es kommen immer wieder verblüffende Ergebnisse dabei heraus.
Viel Spaß beim Lesen.

Mich besucht derzeit immer öfter eine Bekannte aus der guten alten Zeit. Eine Herumtreiberin, die immer mal hier und dort und überall ist und eigentlich nirgendwo ganz. Wir haben uns nie so besonders gut verstanden, meist war sie mir egal. Denn ich war meist nur hier. Hier in meiner Wohnung, oder hier auf der Arbeit. Orte, die sie nicht interessieren.
Habe ich mich mal auf einen Besuch von ihr vorbereitet, kam sie nicht. Dann wiederum klingelte sie Sturm, als es mir so gar nicht passte. Wegschicken konnte man sie nie, wenn sie da war, war sie da und blieb, bis sie keine Lust mehr hatte. Und das konnte dauern. Tage, Wochen, manchmal sogar Monate.
Meine Bekannte ist eine launische Person, das wisst ihr besser als ich. Sie kommt und geht, wie es ihr passt, heute temperamentvoll, morgen apathisch, dann wieder mit viel Geduld und an anderen Tagen war sie so gestresst, dass ich regelrecht gegen sie ankämpfen musste, um mich durchzusetzen. Wehmütig erinnere ich mich an diese Zeit.
Wen interessieren heute noch ihre Launen? Ich bin in meinen vier Wänden, geschützt und zugedeckt. Ich kann auf sie verzichten als launische Begleiterin, ich verzichte auf ihre singende Herbststimme, ich verzichte auf ihr freundliches Lächeln im Frühling.
Ich komme mir vor, als befänden wir uns im Krankenhaus auf der Intensivstation und betrachteten uns durch eine schützende – trennende – Glaswand. Durch das Glas sehe ich, wie sie sich gerade fühlt. Ich interpretiere es aus den flatternden Flaggen. Ich erkenne sie an den Knospen des Baumes und am Reif, der frühmorgens das Gras umhüllt.
Die Erfahrung im Umgang mit ihr sagt mir, dass ich mir heute besser einen Mantel anziehen sollte, wenn ich das Haus verlasse. Dass ich besser nicht die Handschuhe vergesse, wenn ich mich aufs Rad schwinge. Dass ich vorsorglich schon einmal die Mütze zu den Laufsachen packen sollte, will ich nicht mit hochroten Ohren von der Joggingrunde zurückkehren.
Ich ignoriere die Erfahrung, sie ist obsolet. Die Handschuhe nehme ich trotzdem. Ich betrachte meine Bekannte durch die Intensivscheibe und freue mich, dass sie mich besucht hat.
Und ich verspreche ihr, dass wir uns in Zukunft öfter sehen werden.

Nun, wie steht ihr zu der launischen Dame? Habt ihr sie erkannt?
Schreibt mir Eure Meinung als Kommentar unter diesen Text oder an mich persönlich unter carmen[at]mittendrin.blog.
Alles Liebe und bleibt gesund!

Morgens früh um sechs

von Carmen, Lesezeit 1-2 Minuten

Mit halb geschlossenen Augen greift sie in die Spülmaschine, nimmt eine benutzte Tasse heraus und stellt sie neben die Kaffeemaschine, wo der hoffentlich wach machende Kaffee gemütlich durchtröpfelt. Sie muss wach werden. Es gibt einen Grund, weswegen sie nicht mehr in ihrem Bett liegt. Einen wichtigen Grund! Und zwar … Fest versucht sie sich zu konzentrieren und presst hierfür sogar die Augenlider zusammen. Den Schlaf irgendwie vertreiben – die Nacht ist einfach zu kurz gewesen. Sie muss gähnen. Ausgiebig.

Unter der Dusche schläft sie fast im Stehen wieder ein. Wieder zurück in der Küche, mit einem Handtuch um die noch feuchten Haare, hat sie schon wieder vergessen, was sie nicht vergessen wollte. Warum nochmal musste sie sich eben so feste konzentrieren? Vielleicht fällt es ihr nach dem Kaffee wieder ein. Als sie den frischen Kaffee in die bereit stehende Tasse gießen will, stellt sie verwundert fest, dass diese nicht besonders sauber ist. Kopfschüttelnd stellt sie die Tasse zurück in den Schrank und nimmt sich eine neue heraus. Wenns ihr doch bloß wieder einfiele.

Erdbeerschnee

von Carmen, Lesezeit 1-2 Minuten

„Wie Erdbeerschnee“, erklärte ich noch dem Polizisten, „genau so sieht es aus!“ Appetitlich rot hat es tatsächlich ausgesehen, richtig zum reinbeißen. Manche Stellen waren heller, doch je näher man zur Leiche hinschaute, desto dunkler wurde die Farbe. Den Polizisten hat meine Beschreibung freilich nicht interessiert, er hatte sich längst selbst ein Bild gemacht.
Den toten Körper des älteren Nachbarn mit seiner für alle Ewigkeit verzerrten Fratze hatte ich mich nicht mehr getraut, anzuschauen. Ein kurzer Blick hatte genügt und es lief mir eiskalt den Rücken hinunter. Ich sehe das Bild immer noch, wenn ich die Augen schließe.
Ich versuchte, mich auf den Schnee zu konzentrieren. Am Morgen hatte er noch so wundervoll silbern geglitzert. Friedlich, unberührt, edel. Man hatte den Drang, sich hineinzuwerfen und darin einzutauchen. Ich musste an Schneeengel denken. Tja.

Als ich später Herrn Hofmann gefunden hatte, lag er nicht so, wie Schneeengel gewöhnlich liegen. Der Schnee hatte dafür aber auch die falsche Farbe. Er war nicht göttlich silbern, sondern fruchtig rot. So wie die süßen Erdbeeren, die mir Herr Hofmann immer aus seinem Garten mitgebracht hatte. Das wird er jetzt wohl nicht mehr tun, fiel mir ein. Erdbeerschnee. Herr Hofmann lag in Erdbeerschnee. Wie passend, dachte ich, aber das sagte ich lieber nicht dem Polizisten. Der hätte das wohl nicht verstanden.

Schmetterling und Reißzwecke

von Carmen

Da war er nun. Eine Unmöglichkeit. Sie war überzeugt gewesen, dass die Zeiten vorbei seien. Dass sie Gefühle überwunden hätte. Gefühle waren für Menschen, die damit umgehen konnten. Nicht für sie.

Da war er nun. So anders. So außerhalb ihrer Welt. So unerreichbar. So eine wahnsinnig präsente Reißzwecke, die in jedem ihrer Gedanken steckte. Bei der Einkaufsliste, beim Gespräch mit anderen, beim Einschlafen, beim Sport – sie sah sein Gesicht, seine Augen, seine Schuhe. Warum ausgerechnet seine Schuhe?
Sie, die harmlose, die naive, die unsichere. Sie hatte nie Reserven aufgebaut, auf die sie hätte zurückgreifen können. Und doch beschloss sie, ihre Comfort-Zone zu verlassen und ihre Fühler nach ihm auszustrecken. Wie ein zerbrechlicher Schmetterling war sie ab nun dem Wetter ausgesetzt. Ein bisschen falsches Timing, eine kleine, falsche Bewegung, ein sanfter Windstoß und sie würde davongetragen. Doch daran dachte die Naive nicht, nur an ihre Reißzwecke, ausschließlich an ihre Reißzwecke. Flatternd, taumelnd, tollpatschig kämpfte sie sich in seine Nähe.
Erschöpft, ohne Schutz, zart stand sie schlussendlich vor ihm.
Er sah sie an. Und sah sie nicht.
Und ein leiser Windhauch wehte.

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