Treppensturz
Tragikfaktor: 1/5
Ihr braucht: Ein Seil, ein defektes Elektrogerät, eine Treppe, Schuhe – und die Beschissenheit des Universums
Das Internet ist etwas ganz Erstaunliches. Man bekommt dort tatsächlich alles. Von selbst gehäkelten Decken aus der Wolle von Schafen, die im eigenen Hinterhof leben bis zu Bombenbausätzen. Ich fühlte mich also recht zuversichtlich, als ich „Knoten“ googelte und meine Suche dann weiter spezifizierte bis ich ein youtube-Tutorial fand, das Schritt für Schritt erklärte, wie man eine Schlinge knüpfte, an der man bis zu siebzig Kilo aufhängen konnte und die beim Aufhängen auch festzog. Die Verwendungsmöglichkeiten für so eine Schlinge wurden im Video nicht weiter verfolgt, aber nachdem ich aus sicherer Quelle wusste, dass meine Schwester 45 Kilo wog, war ich sehr optimistisch mit dieser Anleitung meinem Ziel, ein Einzelkind zu werden, näher zu kommen. Leider hatte ich dabei gewisse Fallstricke (und Sie werden später über diesen Wortwitz noch lachen) nicht bedacht. Zum Beispiel die Beschissenheit des Universums im Allgemeinen und seine besondere Abneigung gegen meine Person. Doch, ehrlich, ich könnte Seiten damit füllen.
Jedenfalls: Erinnern Sie sich noch an diese Smartphones, deren Akku explodierte? Ja genau, so eins hatte ich. Während ich also Schritt 14 des Tutorials umsetzte, wozu ich das eine Ende des Seils unten um den Stuhl gewickelt und es mir dann über die Schulter geworfen hatte, um am anderen Ende zu knüpfen, hörte ich ein knallendes und zischendes Geräusch. Als ich mich danach umdrehte, erdrosselte ich mich fast selbst mit dem Seil, ließ aber im entscheidenden Moment los. Ich sah Dämpfe und kleine Flammen von meinem Schreibtisch aufsteigen, die sich sofort auf den verstreuten Papieren verteilten und mit faszinierender Geschwindigkeit auf das benachbarte Regal ausbreiteten. Mir dämmerte, dass ich nicht viel Zeit haben würde. Als ich aufsprang, hatte ich jedoch das Seil noch in der Hand, was dazu führte, dass ich den Stuhl unter mir wegzog, der mich beim Umfallen nach hinten riss und ich landete mit dem Rücken halb auf dem liegenden Stuhl und dem Boden, verknotet im Seil – und was für ein Knoten kann ich Ihnen sagen! Ich bin ein sehr guter youtube-Tutorial-Schüler. Von meiner Position aus beobachtete ich, wie das Feuer sich mittlerweile vom Regal über den Teppichvorleger zum Bett vorarbeitete. Ich sollte mich nicht allzu lange auf meiner Position ausruhen. Ich versuchte also, mich gegen die Schwerkraft des Stuhls und meiner Fesseln zu erheben, was mir nach einigen nicht jugendfreien Flüchen und unnatürlichen Verrenkungen tatsächlich gelang. Durch den Rauch war meine Sicht äußerst eingeschränkt und ich war plötzlich dankbar für das kleinste Zimmer im Haus, da ich so unmöglich die Tür verfehlen konnte, als ich ein paar Schritt in diese Richtung stolperte. Selbstverständlich war sie abgeschlossen, um nervigen Nachfragen nach dem Zweck eines Seils samt Schlinge in meinem Zimmer zu entgehen. Der Schlüssel steckte, doch meine Hände zitterten und ich ließ ihn zunächst fallen. Das Atmen fiel mir zwischenzeitlich zunehmend schwerer und es war heiß und ich war angepisst, denn ich bin nicht gut darin, auf spontane Situationen zu reagieren. Aber irgendwie schaffte ich all die Unannehmlichkeiten auszublenden, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, die Tür zu öffnen und auf den Flur zu treten. Wo ich – blind vor den vom Rauch ausgelösten Tränen in meinen Augen – über die Schuhe meiner Schwester stolperte, die Treppe hinunterfiel und mir auf der letzten Stufe das Genick brach. Hätte ich die Idee mit der Schlinge nur früher gehabt!
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